Magnus Hall

„Der größte Teil unserer Investitionen geht nach Berlin“

Über den Berliner Markt, das Privatkundengeschäft, Investitionen in die Zukunft, aber auch über Planungen zum Stellenabbau sprach Magnus Hall, CEO von Vattenfall, mit Joachim Fahrun, Chefreporter der Berliner Morgenpost und der Welt sowie Björn Hartmann, aus der Zentralredaktion der Funke Medien.

Im Gespräch mit den Zeitungen der Funke-Mediengruppe äußert sich Magnus Hall, CEO von Vattenfall, zum Engagement in Deutschland. Dabei geht es um den Verkauf der Lausitzer Braunkohlesparte, Investitionen in erneuerbare Energien und Maßnahmen zur Erzielung von Klimaneutralität. Mit Blick auf die Hauptstadt sagt Hall, dass der größte Teil der Investitionen nach Berlin ginge, etwa in das Vertriebsnetz, da das Netz ständig verbessert und vor allem ausgebaut werden müsse.

V. l.: Magnus Hall, CEO von Vattenfall sprach mit Joachim Fahrun und Björn Hartmann
Magnus Hall, CEO von Vattenfall sprach mit Joachim Fahrun und Björn Hartmann (v. l.)  Foto: Vattenfall

Sie haben gerade gut die Hälfte der deutschen Belegschaft verkauft. Wie fühlen Sie sich?

Sehr gut. Ich finde den Verkauf richtig. Das ist ein wichtiger Schritt in Vattenfalls Wandel. Wir positionieren das Unternehmen mehr Richtung erneuerbare Energien und Kunden, senken unseren CO2-Ausstoß deutlich. Wir haben einen guten Käufer gefunden. Das empfinden übrigens auch die betroffenen Kumpel und deren Betriebsräte genauso.

Als Sie mit dem Verkauf begannen, hofften Sie noch auf einen Ertrag. Jetzt müssen Sie den tschechischen Käufer EPH sogar bezahlen.

Wir haben 1,7 Milliarden Euro Cash in das Unternehmen gesteckt, damit es weiter arbeiten und seine Verpflichtungen für den Rückbau der Tagebaue einhalten kann. Es gibt auch weitere Verpflichtungen. Sicherungsgeschäfte im Wert von rund einer Milliarde Euro, die Vattenfall zur Absicherung der Großhandelspreise für die Braunkohleverstromung getätigt hat, bleiben bei Vattenfall.

Wie kann es sein, dass die Tschechen mit dem Braunkohlegeschäft Geld verdienen, Vattenfall aber nicht?

Braunkohle ist für den Energiemix und die Stabilität des Systems in Deutschland wichtig. Manche leiten daraus ab, dass sich mit Braunkohle künftig wieder spätestens nach dem Atomausstieg Geld verdienen lässt. Das sehen wir nicht so. Für uns ist auch das Thema CO2-Ausstoß wichtig und die Abkehr von fossilen Brennstoffen. Wenn wir dasselbe denken würden wie EPH, hätten wir das Geschäft behalten.

In Brandenburg gibt es eine Debatte über Steuererstattungen, die Vattenfall im Zuge des Verkaufs fordert. Um wie viel Geld geht es?

Ich bin nicht mit allen Einzelheiten vertraut. Aber wir stehen seit Jahren in engem Kontakt mit Politik und Behörden. Wir arbeiten selbstverständlich im Rahmen der bestehenden Gesetze.

Brandenburgs Finanzminister behauptet, Vattenfall rechne sich ärmer als es ist, um Steuern zu sparen oder erstattet zu bekommen.

Die Lage im Energiegeschäft ist außergewöhnlich hart, weil die Großhandelspreise signifikant gefallen sind von etwas um 60 Euro auf 20 bis 22 Euro je Megawattstunde. Die finanzielle Situation der Energieunternehmen ist sehr schwierig und die Steuerhöhe orientiert sich immer an der Ertragssituation. In guten wie in schlechten Zeiten.

Sie argumentieren immer mit den niedrigen Großhandelspreisen beim Strom, die Ihnen Probleme bereiten. Die Strompreise für Endverbraucher haben Sie gerade angehoben. Wie passt das zusammen?

Es gibt neben den reinen Energiekosten auch noch andere, die berücksichtigt werden müssen; Steuern und Abgaben machen den weit größten Teil des Strompreises bei den Endkunden aus. Dieser Teil wächst stetig. Deshalb war es nötig, die Endkundenpreise anzuheben.

Im Vergleich zählt Vattenfall zu den teureren Stromanbietern in ihren Hauptabsatzmärkten Berlin und Hamburg. Verlieren Sie Kunden?

Nein. Tatsächlich gewinnen wir im Vertrieb neue Kunden. Sowohl bei Strom, als auch Gas. Wir haben in Deutschland in den letzten drei Jahren über 500.000 neue Kunden außerhalb von Berlin und Hamburg dazu gewonnen und haben jetzt deutlich mehr als 3.500.000 zufriedene Kunden.

In Hamburg und Berlin haben wir einen stabilen Marktanteil von rund 70 Prozent, trotz mehreren hundert Wettbewerbern. Die Menschen schauen nicht nur auf den Preis, sondern auf den gesamten Wert dessen, was man bekommt. Dazu zählen auch Verlässlichkeit und Service.

Vor einem Jahr sagten Sie, Vattenfall habe keine Pläne, Deutschland zu verlassen. Jetzt haben Sie das Braunkohlegeschäft verkauft, Sie wickeln zwei Atomkraftwerke ab, das Marktumfeld ist schwieriger geworden. Bleiben Sie?

Deutschland ist neben Schweden und den Niederlanden einer unserer Kernmärkte. Auch nach dem Verkauf des Braunkohlegeschäfts ist die Belegschaft in Deutschland die größte im Konzern. Wir haben eine sehr gute Position bei der klimafreundlichen Fernwärme in Berlin und Hamburg, da wollen wir das Geschäft auf dieser Basis weiter ausbauen und gewinnen auch hier jährlich derzeit 30.000 Kunden hinzu.

Wir investieren in Windparks, die zweite Offshore-Anlage in der Nordsee wird gerade gebaut. Der Vertrieb in Deutschland ist der größte im Konzern mit dreieinhalb Millionen Kunden. Wir betreiben das Stromnetz in Berlin, einer wachsenden Stadt, in der wir auch künftig tätig sein wollen.

Mehrere Städte arbeiten an Plänen für Klimaneutralität, da können wir Lösungen anbieten. Und der größte Teil unserer Investitionen von drei Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren geht nach Deutschland. Kurz: Wir bauen aus.

Was ist mit den Steinkohlekraftwerken in Berlin und Hamburg?

Die Kraftwerke, die Stromproduktion mit Fernwärme verknüpfen, nutzen den fossilen Brennstoff sehr effizient. Diese Anlagen werden sich entwickeln: zunächst mit dem Brennstoff Kohle, dann mit Gas, dann mit nachwachsenden Brennstoffen. Dann ist das System klimaneutral. Das wollen wir bis 2050 erreichen.

Überdenken Sie Ihre Investitionen in Berlin?

Nein. Der größte Teil unserer Investitionen geht nach Berlin, etwa in das Vertriebsnetz, da das Netz ständig verbessert und vor allem ausgebaut werden muss. Dann bauen wir das Fernwärmenetz aus. In Lichterfelde entsteht zudem gerade ein neues Gasbetriebenes Kraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung, in Marzahn wird ein weiteres folgen.

Derzeit betreiben Sie das Berliner Stromnetz. Ist Vattenfall bereit, im Zuge der Rekommunalisierungspläne eine Rolle als Minderheitsgesellschafter zu akzeptieren?

Wir wollen erst einmal die Konzessionsausschreibung gewinnen. Dann kommt als nächstes die Frage, ob wir uns für eine Zusammenarbeit mit dem Land öffnen. Wir wollen flexibel sein, aber auch sicher, dass wir das Netz verantwortungsvoll betreiben können. Ohne die Konzession gibt es auch nichts, über das diskutiert werden könnte.

Der Senat hat beschlossen, neu über die Energieversorgung in der Hauptstadt zu verhandeln. Wie sehen Sie das?

Wir sind Teil des Dialogs und wir glauben, dass da Platz für alle ist – auch für weitere Konkurrenten. Wir respektieren, dass Berlin mehr als einen Partner haben möchte. Wir öffnen aber nicht gerade unsere Arme, um Konkurrenten zu empfangen. Wir wollen klar verantwortlich sein für das Fernwärmenetz und für das Stromnetz. Und wir können beides gemeinsam mit Partnern. Da sind wir recht offen.

Der Senat hat eine Zusammenarbeit mit Eon beim Gas vereinbart. Das Konzept sieht vor, dass Sie sich von ihren Gasag-Anteilen trennen.

Das ist nicht unser Plan. Wir verstehen und akzeptieren, dass das Land größeren Einfluss auf das Gasnetz, also die Energieinfrastrukturen dieser Stadt haben will. Dafür sind wir offen – aber um das zu erreichen da gibt es andere, viel einfachere Lösungen.

Haben Sie die Chance, Gasag-Anteile von Engie zu erwerben?

Dazu kann ich nichts sagen. Aber wir haben den Eindruck, dass auch Engie ein Teil der künftigen Energielandschaft in Berlin sein möchte. Es wird wohl bei den drei Gasag-Eigentümern Vattenfall, Engie und Eon bleiben. Ich sehe aber nicht, dass man die Eigentümerstruktur der Gasag verändern muss, um die Ziele des Landes oder eine gute Entwicklung der Gasag zu erreichen. Andere Optionen sind besser.

Welche?

Man könnte nur das Berliner Gasnetz in eine eigene Gesellschaft auslagern. An dieser könnte Berlin dann 51 Prozent erwerben. Den Betrieb kann man über die Gasag-Tochter NBB organisieren. Die Gasag bliebe dabei also erhalten, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter blieben unter dem Dach der Gasag.

Sollte man nicht lieber warten, bis nach den Wahlen im September womöglich eine neue Koalition in Berlin regiert?

Natürlich hätte man immer gerne Klarheit. Aber wir müssen mit jedem Szenario umgehen. Wir sind vorbereitet, wir wissen, dass wir auch von politischen Entwicklungen abhängen.

Es gibt Hinweise, dass Vattenfall weiter Arbeitsplätze streichen will. Vor allem in Berlin soll die Belegschaft schrumpfen. Müssen sich Ihre Mitarbeiter Sorgen machen?

Das Energiegeschäft steht unter Druck durch die Energiewende. Wenn wir nicht Schritt halten und so effizient wie möglich arbeiten, wird weder Vattenfall noch irgendein anderes Energieunternehmen in der Lage sein, zu investieren und die Existenz für die nächsten 30 oder 50 Jahre abzusichern.

Auch wir müssen die Zahl unserer Mitarbeiter perspektivisch verringern. Wir sprechen darüber mit unseren Beschäftigten und den Betriebsräten. Wir bauen Personal sozialverträglich ab, versuchen, die Leute beim Wechsel zu unterstützen.

Wie viele Jobs stehen in Berlin/Hamburg zur Debatte?

Das haben wir noch nicht entschieden. Das hängt stark von der Entwicklung der Zukunftsthemen ab, über die wir gesprochen haben.

Wie bewerten Sie die Vorschläge der Regierungskommission, die Atomkonzerne mit 23 Milliarden Euro für die langfristige Lagerung von Atommüll bezahlen zu lassen?

Es ist sehr beeindruckend, wie schnell ein solcher Vorschlag jetzt zustande gekommen ist. Finanzierung und Verantwortung für den Umgang mit Atommüll müssen in einer Hand liegen. Der Staat muss die Kontrolle haben, denn die wirklich langfristigen Themen kann man nur schwer privaten Unternehmen überlassen.

Die Frage ist nur, wie viel mehr diese Lösung die Konzerne kosten soll. Da unterscheidet sich unsere Meinung von der der Kommission. Sie verlangt einen 35-prozentigen Risikoaufschlag auf die bisher bestehenden Rückstellungen. Dass erscheint uns zu viel. Für uns ist das in der jetzigen Lage schwer zu verkraften.

Das heißt, die Konzerne werden über sechs Milliarden Euro verhandeln, die Differenz zwischen den 17, die sie zurückgestellt haben, und den 23, die die Kommission vorschlägt?

Das werden wir sehen, aber unser Anteil als Vattenfall daran ist sowieso ziemlich klein.

Sie verklagen die Bundesregierung weiterhin auf 4,7 Milliarden Euro, die Sie der Atomausstieg gekostet haben soll. Auf der einen Seite geben Sie sich kooperativ, auf der anderen steuern Sie einen Konfrontationskurs.

Es geht um zwei verschiedene Dinge. Natürlich darf ein Nationalstaat seine politischen Entscheidungen treffen. Aber es sollte auch klar sein, dass man Leute entschädigt, die davon betroffen sind. Wenn jemand Ihr Haus konfisziert, sollten Sie auch die Chance haben vor einem neutralen Gericht prüfen zu lassen, ob das korrekt war. Das tun wir.

Warum gehen Sie mit Ihrer Klage vor ein internationales Schiedsgericht in Washington? Solche Schiedsgerichte werden ja in der Debatte um das Freihandelsabkommen TTIP kritisch gesehen.

Die schwedische Regierung hat seinerzeit ein deutsches Unternehmen bezahlt, als sie ein Atomkraftwerk in Schweden geschlossen haben. Alle waren zufrieden. So macht man das in meiner Welt. Wir sind eine ausländische Firma, das Schiedsgericht ist aus unserer Sicht eine neutrale Instanz. Deutsche Unternehmen rufen das gleiche Gericht an, wenn sie im Ausland Probleme bekommen.

Vattenfall hat die vergangenen drei Jahre Geld verloren. Wann kehren Sie in die Gewinnzone zurück?

Wir haben das dritte Jahr in Folge keine Dividende an unseren Eigentümer gezahlt. Das fühlt sich nicht gut an. Aber wir sind froh, dass unser Eigentümer, der schwedische Staat, unsere angespannte Situation akzeptiert.

Wenn man wie die deutschen Energiekonzerne etwa Pensionsfonds als Miteigentümer hat, ist das schwieriger. Wir mussten in den vergangenen Jahren als Folge des Preisverfalls 13 Milliarden Euro abschreiben. Wir gehen jetzt weg von der reinen Stromproduktion mit ihren Risiken.

Auch deshalb sind wir aus dem Braunkohlegeschäft mit seinen hohen Fixkosten für Tagebaue und Kraftwerke ausgestiegen. Deshalb werden wir noch einmal 2,4 bis drei Milliarden Euro abschreiben. Aber wir hätten wahrscheinlich noch mehr abschreiben müssen, wenn wir die Braunkohle behalten hätten. Ich hoffe, dass wir das bald verdaut haben und wieder Gewinn machen.

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