Unser Energiesystem braucht Flexibilität auf allen Kanälen
Im Interview mit Robert Zurawski geht es um die kritische Haltung gegenüber einem zentralen Kapazitätsmarkt, die Bedeutung von Flexibilitätsoptionen, die Rahmenbedingungen für den Ausbau erneuerbarer Energien, die Rolle von Pumpspeicherkraftwerken sowie die Akzeptanz und Umsetzung von Wind- und Solarprojekten. Zudem werden der zunehmende Wettbewerbsdruck im Strommarkt, das Geschäftspotenzial von Energiedienstleistungen und die Notwendigkeit eines beschleunigten Smart-Meter-Rollouts thematisiert.

Robert Zurawski, Deutschland-Chef bei Vattenfall
Die Bundesregierung will möglichst zügig einen zentralen Kapazitätsmarkt einführen. Sie stehen einem Kapazitätsmarkt kritisch gegenüber. Was sind ihre Argumente?
Robert Zurawski: Aufgrund der erheblichen direkten und indirekten Kosten sowie nicht gewünschter Steuerungseffekte bin ich sehr skeptisch, dass dies am Ende effizient funktioniert. Die Bundesregierung möchte sich offenbar auch noch einmal etwas Zeit für eine Diskussion nehmen, was bei dem komplexen Thema sicherlich richtig ist.
Wie sollen die Betreiber der dringend benötigten Back-up-Kraftwerke ihre Anlagen ohne Anreize über einen Kapazitätsmarkt rentabel betreiben?
Ich halte viel mehr davon, Flexibilitäts-Optionen und Innovations-Lösungen mehr Raum zu geben. Investitionen in flexible Speicher wie Großbatterien oder in unsere heimischen Pumpspeicherkraftwerke lohnen sich schon heute förderfrei und tragen kosteneffizient zur Versorgungssicherheit bei, aber eben nur wenn wir Preissignale zulassen. Ein Kapazitätsmarkt würde diese verwässern.
Vattenfall verfügt über ein Erneuerbaren-Portfolio in Deutschland. Die Bundesregierung will an der grundsätzlichen Förderung der Erneuerbaren und an den Ausbauzielen festhalten. Doch soll für Neuanlagen die fixe Einspeisevergütung abgeschafft werden und für alle Anlagen eine Verpflichtung zur Direktvermarktung kommen. Können Sie damit leben?
Unsere Solarparks und Offshore-Windparks bauen wir heute schon größtenteils ohne direkte staatliche Förderungen. Zugleich brauchen wir auch weiterhin einen verlässlichen Investitionsrahmen, um das Ausbautempo für einen Erneuerbaren-Anteil von 80 Prozent am Strommix im Jahr 2030 halten zu können. Wie man an den gescheiterten Offshore-Auktionen im Sommer und dem zurückhaltenden PPA-Markt gesehen hat, ist das auch kein Selbstläufer. Deswegen müssen Anpassungen umsichtig und im Dialog mit der Branche erfolgen. So setzen wir uns für ein zweistufiges Modell bei den Offshore-Auktionen ein, bestehend aus finanziellen Geboten und – als Stabilisierungsoption – CfDs, sogenannten Differenzverträgen mit staatlicher Preisabsicherung. Das Gebotssystem ist damit flexibler mit Blick auf das jeweilige Marktumfeld. Zur Stärkung des marktlichen Ausbaus können auch die vom Bundeswirtschaftsministerium angekündigten Kreditgarantien für PPAs beitragen.
Vattenfall betreibt in Deutschland mehrere Pumpspeicherkraftwerke. Sie planen sogar ein weiteres Pumpspeicher-Projekt in Thüringen. Sind solche Großvorhaben hierzulande noch durchsetzbar und wie rentabel sind Pumpspeicherkraftwerke?
Mit einer Leistung von 2,7 Gigawatt ist Vattenfall der größte Betreiber von Pumpspeicherkraftwerken in Deutschland – das sind die größten Batterien, die wir hierzulande haben. Und ja, auch wir befinden uns in der Planungsphase für ein neues Pumpspeicherwerk in Thüringen mit einer Leistung von 500 Megawatt. Was uns derzeit jedoch Sorgen bereitet, ist die aktuelle Debatte um die Reform der so genannten Netznutzungsentgelte. Sollte diese Reform so umgesetzt werden, wie es in aktuellen Vorschlägen diskutiert wird, kann das zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen für die bestehenden Pumpspeicher – und für Neubauprojekte – führen. Wir plädieren deshalb dafür, dass in der Reform die Systemdienlichkeit der Pumpspeicher entsprechend anerkannt und berücksichtigt wird. Denn mit zunehmendem Anteil erneuerbarer Energien im Stromsystem spielen unsere heimischen Pumpspeicherkraftwerke als Flexibilitätsoption eine immer wichtigere Rolle.
Neben dem Ausbau der Offshore-Windkraft wollen Sie auch das Erneuerbaren-Portfolio bei der Windkraft an Land und Solar weiter ausbauen. Welche Erfahrungen machen Sie mit der Akzeptanz vor Ort bei diesen Projekten?
Das stimmt. Bei Onshore-Wind haben wir 26 Windparks in Genehmigungsverfahren mit mehr als 150 Windenergieanlagen und zusammen 1,1 Gigawatt installierter Leistung, die wir in Schleswig-Holstein, Mittel- und Süddeutschland realisieren werden. Es sind schon Fortschritte sichtbar. Wichtig ist immer, dass wir die Menschen vor Ort mitnehmen und einbinden. In Schleswig-Holstein baut Vattenfall jetzt das erste Solarprojekt, an dem sich Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde direkt finanziell beteiligen konnten. Zahlreiche Interessenten haben diese Möglichkeit genutzt, wodurch sie jetzt direkte Teilhaber an einem Energiewendeprojekt in ihrer Heimatregion sind. Auch neue Konzepte wie Agri-PV – die Verbindung von Landwirtschaft und Solarstromerzeugung – können vor Ort die Akzeptanz erhöhen. Zudem legen wir Wert auf die Umwelt- und Recyclingbilanz von neuen Anlagen.
In Deutschland hat Vattenfall fünf Millionen Strom-Haushaltskunden. Der Wettbewerb ist zuletzt wieder härter geworden, heißt es in der Branche. Wie empfinden Sie den Wettbewerbsdruck und wie hoch sind die Margen?
Der Wettbewerb ist schon seit vielen Jahren sehr stark in Deutschland. Anforderungen durch die Regulierung oder zur Kostenoptimierung setzen aktuell viele Anbieter unter enormen Druck. Gute IT-Infrastruktur, flexibles Pricing, Digitalisierung und KI sind jetzt echte Erfolgsfaktoren. Wir haben schon vor Jahren in diese Bereiche investiert und sehen Wettbewerb als Chance für weiteres Wachstum und gute Produkte und Lösungen für unsere Kundinnen und Kunden.
Angesichts der vergleichsweisen hohen Zahl von Haushaltskunden sollte sich auch ein Geschäftspotenzial mit Energiedienstleistungen ergeben. Wie läuft das Geschäft?
Klar ist: Die Energiewende im eigenen Zuhause hat großes Potenzial – ob es nun um Wärmepumpen, Solaranlagen, Batteriespeicher oder Wallboxen für das Elektroauto geht. Wir investieren bei Vattenfall deshalb auch in eigene Handwerksbetriebe, um die Energiewende aus einer Hand und zu wettbewerbsfähigen Preisen zu den Menschen zu bringen. Sicherlich war im Markt speziell beim Thema Heizung zuletzt auch Verunsicherung zu spüren. Allerdings: Zum ersten Mal in der Geschichte des deutschen Heizungsmarktes lag die Wärmepumpe im ersten Halbjahr 2025 an der Spitze der meistverkauften Heizungsanlagen, noch vor der Gasheizung, weil sie schon heute oft die wirtschaftlich sinnvollste Heizungslösung ist.
Der Smart-Meter-Rollout in Deutschland hängt im internationalen Vergleich nach wie vor zurück, gerade in Skandinavien ist man deutlich weiter. Welche Folgen hat das für den deutschen Endkundenmarkt?
Unser Energiesystem in Deutschland braucht mehr Flexibilität auf allen Kanälen, nicht nur auf der Angebots-, sondern eben auch auf der Nachfrageseite, zum Beispiel bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern mit einer PV-Anlage, Wallbox oder Wärmepumpe. Hier können beispielsweise dynamische Stromtarife eine wichtige Rolle spielen, mit denen sich der eigene Verbrauch vorwiegend in preisgünstige Zeiten verlegen lässt. Voraussetzung dafür ist jedoch ein intelligenter Stromzähler – und hier sollte die Politik in der Tat Tempo bei den Verteilnetzbetreibern machen. Wir brauchen Klarheit beim Rollout von intelligenten Stromzählern, dabei darf es auch gerne eine pragmatische Lösung sein.
Das Interview führte Klaus Hinkel. Es erschien am 08.12.2025 in der Zeitung für Kommunale Wirtschaft (ZfK) und online: Vattenfall-Deutschland-Chef: Stromanbieter unter Druck: Zeitung für kommunale Wirtschaft


