Das Kraftwerk Stenungsund als Bollwerk - Foto Niels Vester

Hier ist das verborgene Kraftwerk

Gigantisches Stahltor im Berg verbirgt Geheimnis aus dem Kalten Krieg.

Thomas Wikström
Alter: 36
Funktion: Business Area Manager und Hafenmeister
Ort: Stenungsund
Hobbys: Outdoor-Aktivitäten, Orientierungsläufe, Angeln, Heimwerken, Segeln

Bereit zu dienen, wenn aufgerufen
Der Berg verbirgt vier voll ausgestattete Kraftwerkseinheiten, von denen zwei noch als Spitzen- und Reservelastanlagen betriebsbereit sind und bei Bedarf eingesetzt werden können.

Spezielles Signalsystem
Die Kommunikation im Berg benötigte ursprünglich ein spezielles Lichtsignalsystem. Heute ist eine unabhängige Telefonanlage installiert, da Mobiltelefone in den 600 Höhlen und den verzweigten Tunneln nicht funktionieren.

Elektrisches Moped
Kaisa Lithander nutzt ein elektrisches Moped, um lange Distanzen zwischen den Einsatzorten im Berg zu überwinden.

Schon von außen wird klar, dass das Kraftwerk Stenungsund als Bollwerk für Kriegszeiten gebaut wurde. Die großen Betonblöcke, die über allen Eingängen zu sehen sind, sind geeignet, um im Falle eines  Angriffs den Zugang zu versperren. Und die dicke Stahltür am Haupteingang schottet die Anlage vollständig von der Umgebung ab. Zum Glück hat Thomas Wikström, Business Area Manager, Thermal Services, bei Vattenfall Services Nordic, den Zugangscode.

„Die Eingangstunnel wurden alle kurvenförmig angelegt, um direkte Schüsse in die Maschinenhalle zu verhindern“, erläutert Wikström als wir durch den gigantischen Tunnel in den Berg eintreten. „Drinnen wurden 600 Höhlen verschiedener Größen in den Berg gesprengt, um vier voll ausgestattete Kraftwerksblöcke, eine Wasseraufbereitungsanlage und riesige Ölspeicherkavernen unterzubringen. Dadurch war für den Fall eines Angriffs auf Schweden von Osten her ein unabhängiger Betrieb des Kraftwerks sichergestellt.“

Heute kann Wikström die Geschichte des geheimen Kraftwerks offen erzählen, ohne gegen schwedische Geheimhaltungsgesetze zu verstoßen, doch zur Hochzeit des Kalten Krieges in den 1960er- und 1970er-Jahren wäre er dafür wahrscheinlich wegen Landesverrats ins Gefängnis gekommen.

Heute kann Wikström die Geschichte des geheimen Kraftwerks offen erzählen, ohne gegen schwedische Geheimhaltungsgesetze zu verstoßen, doch zur Hochzeit des Kalten Krieges in den 1960er- und 1970er-Jahren wäre er dafür wahrscheinlich wegen Landesverrats ins Gefängnis gekommen.

Vom Badeort zum Stromlieferanten in Kriegszeiten

Nach dem Zweiten Weltkrieg suchte die schwedische Regierung einen geeigneten Ort für den Bau eines geschützten Kraftwerks – in einem Berg mit einem tiefen und eisfreien Hafen. An der gesamten schwedischen Westküste wurde ein Berg gesucht, der groß genug war, um Kessel, Generatoren und sonstige Anlagenteile aufzunehmen. Der seinerzeit kleine Ferienbadeort Stenungsund erfüllte all diese Anforderungen, sodass 1956 die ersten Detonationen durch das friedvolle Archipel in Westschweden hallten. Beeindruckende 1,5 Millionen Kubikmeter – oder drei Millionen Tonnen – Gestein wurden aus dem Berg gesprengt, um Platz für das Kraftwerk und seine Hilfssysteme zu schaffen.

In den zehn Jahren von 1959 bis 1969 wurden vier ölbefeuerte Kraftwerksblöcke in Höhlen installiert. Sie sollten in Friedenszeitenals Spitzen- und Reservelastanlagen dienen und in Kriegszeiten, wenn vermutlich alle anderen Kraftwerke und die Infrastruktur zerstört gewesen wären, das Land mit Strom versorgen.. Der einzige Anhaltspunkt fürdas, was sich im Inneren des Bergs befindet, sind vier majestätische Schornsteine, die aus dem Berg herausragen. Sie sind so konstruiert, dass bei einer Zerstörung durch Bomben der gesamte Schutt in ein tiefes Loch im Berg fallen würde, sodass das Rauchgas weiter ausströmen und das Kraftwerk immer noch Strom erzeugen könnte.

2 x 260 Megawatt Anlagen laufen noch

2 x 260 Megawatt Anlagen laufen noch - Foto: Niels Vester

Bis zur Ölkrise in den 1970er- Jahren lief die Anlage überwiegend im Grundlastbetrieb. Die beiden kleinen 150-Megawatt-Blöcke wurden 2009 stillgelegt, während die beiden 260-Megawatt-Blöcke noch betriebsbereit sind.

Keine Standardlösungen

Im Inneren des Bergs reihen sich Seitentunnel und gezielt angelegte Höhlen wie eine Perlenkette aneinander. Da Mobiltelefone hier nicht funktionieren, verfügt das gesamte Kraftwerk über ein eigenes Telefonsystem mit persönlichen Alarmfunktionen für die Mitarbeiter, die in der weitläufigen und verzweigten Anlage oft allein arbeiten. 16 Aufzüge im Berg befördern Mitarbeiter und Ausrüstung. Eine ausgeklügelte Brandmeldeanlage wurde installiert, da viele Höhlen die meiste Zeit über unbemannt sind.

Vielfältig und modern

Auf halbem Weg durch den Tunnel sieht man links durch eine unscheinbare Seitentür eine komplette Wasseraufbereitungsanlage. Sie zieht Wasser aus einem sechs Kilometer entfernten See und wandelt es pro Jahr in neun Millionen Kubikmeter Roh- und Prozesswasser für das Kraftwerk, die umliegenden Industriebetriebe und die Gemeinde um. Zwei Millionen Kubikmeter davon versorgen die gesamte Gemeinde Stenungsund mit Frischwasser.

„Wasser ist heute eines der vier Geschäftsfelder von Vattenfall in Stenungsund. Da das Spitzen- und Reservelastkraftwerk nur 30 Prozent der Geschäftstätigkeit in Stenungsund ausmacht, hat man im Laufe der Jahre zusätzliche Geschäftsmodelle entwickelt. Dazu zählen ein Hafen, den jährlich mehr als 200 Gas-, Öl- und Chemietanker anlaufen. Von hier aus wirdein Großteil der lokalen Chemieindustrie beliefert. Außerdem haben wir 520.000 Kubikmeter Ölspeicher in elf Kavernen, die wir überwiegend vermieten, und wir haben das Wassergeschäft, mit dem wir auch Roh-, Kühl- und Prozesswasser an externe Industriebetriebe verkaufen. Das alles sind Aktivitäten von Vattenfall Services“, erklärt Wikström. Diese Aktivitäten tragen dazu bei, das Kraftwerk auch in längeren Phasen, in denen es nicht in Betrieb ist, rentabel zu machen. Außerdem ermöglichen sie eine schlanke Organisation des Kraftwerks mit hoher Effizienz, indem Mitarbeiter nach Bedarf in den verschiedenen Geschäftsfeldern eingesetzt werden.

In den 1970er-Jahren, als die vier Blöcke rund um die Uhr liefen, verfügte Vattenfall in Stenungsund über fünf vollständig besetzte Schichten mit insgesamt 330 Mitarbeitern.

Seit 2003 ist das Kraftwerk Bestandteil der allgemeinen schwedischen Leistungsreserve. In den Jahren 2014 und 2017 gewann die Anlage jedoch nicht die Ausschreibung für die Leistungsreserve. In Folge dessen werden verschiedene Alternativen für die Zukunft der Anlage erwogen. Eine endgültige Entscheidung wird für die zweite Jahreshälfte 2017 erwartet. . Neben ihrer Aufgabe, die Anlage eingeschränkt funktionsfähig zu halten, werden die aktuell dauerhaft beschäftigten 30 Mitarbeiter für alle Aktivitäten im Hafen, die Wasseraufbereitungsanlage und die Ölspeicher benötigt, woraus sich im Tagesgeschäft zahlreiche Synergien ergeben. 

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