Unternehmen ohne klare Klimaziele bekommen Probleme
Magnus Hall, Präsident und CEO von Vattenfall, spricht auf dem Handelsblatt Energie Gipfel 2020 zu der Frage: „Wie werden wir innerhalb einer Generation in Europa fossilfrei?“. Dieser Frage widmet er sich auch vorab im Rahmen eines Namensbeitrags, der am 21.01.2020 im Handelsblatt erschienen ist:
Der Jahreswechsel ist traditionell die Zeit, in der Bilanz gezogen wird. Rückblickend wird 2019 möglicherweise als das Jahr in die Geschichte eingehen, in der das Thema Klimaschutz weit nach oben auf die gesellschaftliche Agenda zahlreicher Staaten gerückt ist. Das liegt sicherlich zu einem wesentlichen Anteil an der Fridays for Future Bewegung, unter der sich im vergangenen Jahr weltweit neben Millionen Schülerinnen und Schülern verschiedenste gesellschaftliche Gruppierungen versammelt haben, um für mehr Klimaschutz zu streiken. Auch wenn die Ziele dieser wachsenden Bewegung zum Teil etwas vage formuliert und in die Ferne gerichtet sind, hilft es, die nötigen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse rund um das Thema Klimaschutz weiter voranzubringen. Insbesondere, was die Geschwindigkeit der Veränderungen anbelangt.
Dies ist weiterhin bitter nötig, denn erneut zeigt der Blick auf die unlängst im Rahmen der Klimakonferenz von Madrid veröffentlichen Berichte, dass die Aussichten für das Weltklima zunehmend düsterer werden. Die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre hat laut World Meteorological Organization (WMO) mittlerweile einen von Menschen verursachten Höchststand von 408 parts per million (ppm) erreicht, sie ist damit mehr als doppelt so hoch wie im vorindustriellen Zeitalter. Der WMO Generalsekretär Petteri Taalas warnt im gleichen Bericht vor einem krachenden Verfehlen der Pariser Klimaziele. Wenn nicht zügig gehandelt wird, prognostiziert die WMO einen Temperaturanstieg von mehr als 3 Grad Celsius statt der in Paris vereinbarten Obergrenze von 2 Grad. Die wissenschaftlichen Fakten sind hinlänglich bekannt und sie bereiten mehr denn je Grund zur Sorge. Anlass zur Hoffnung gibt, dass bereits zahlreiche Lösungsansätze existieren. Und wir haben die Pflicht, diese jetzt zügig umzusetzen.
Grüne Transformation
Vattenfall ist der Ansicht, dass die globalen Klimaziele und deren Umsetzung weiter verschärft werden müssen. Die Umstellung wird zwar nicht über Nacht erfolgen, aber die politischen Entscheidungen hierfür müssen jetzt getroffen werden, und es müssen mutige Entscheidungen sein. Gleiches gilt für Unternehmen. Diejenigen Unternehmen, die keine klaren Klimaziele formulieren, werden Probleme mit den Ansprüchen ihrer Kunden bekommen – und ganz bestimmt auch mit der Umwelt- und Klimaschutzbewegung. Für uns als Unternehmen gilt, dass wir eine klare Aussage darüber treffen, wohin der Weg in Sachen Klimaschutz für uns geht. Unser Weg heißt, ein fossilfreies Leben innerhalb einer Generation zu ermöglichen.
Praxisbeispiel Berlin: Hier treibt Vattenfall die Dekarbonisierung des Fernwärmegeschäfts voran, die Bundeshauptstadt ist für Vattenfall sozusagen die „Herzkammer des Kohleausstiegs“. In einer gemeinsamen Machbarkeitsstudie mit dem Land Berlin haben wir unlängst aufgezeigt, wie wir in der Energieversorgung dort bis spätestens 2030 aus der Nutzung von Kohlen aussteigen. Dies ist für uns ein wesentlicher Schritt nach vorn, da hier der weitaus größte Teil der CO2-Emissionen unseres Wärmegeschäfts anfällt. Wir haben in diesem Zusammenhang die Empfehlungen der Klimawissenschaft betrachtet und für uns abgeleitet, was wir als Unternehmen tun müssen, um unser eigenes 2-Grad-Ziel zu erreichen.
Als Energieunternehmen sind wir grundsätzlich prädestiniert, der Gesellschaft ein ganzes Paket nachhaltiger Lösungen anzubieten, unabhängig davon, ob wir von der Dekarbonisierung des Energiesektors, der Industrie oder des Verkehrssektors reden. In einer komplexer werdenden Energiewelt muss es uns gelingen, unseren Kunden – egal ob groß oder klein – einfache Produkte und Lösungen für ihre Bedürfnisse anzubieten. Oder anders gesagt: Wir müssen es der kommenden Generation leicht machen, fossilfrei zu leben. Das bedeutet für uns die Umstellung auf ein nachhaltiges Geschäft mit dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, getrieben von der Nachfrage nach grüner Elektrizität, die in den kommenden Jahren weiter signifikant wachsen wird. Darüber hinaus wird die Digitalisierung aller Bereiche der energetischen Wertschöpfungskette eine ganz entscheidende Rolle für den Geschäftserfolg spielen, um an dieser Stelle zwei weitere Beispiele zu nennen, die für unsere Strategie maßgeblich sind.
Was die Dekarbonisierung einzelner Industriezweige anbelangt, sind Partnerschaften aus unserer Sicht der geeignete Weg. In Schweden sind wir hier bereits ein gutes Stück vorangekommen. Zusammen mit dem Stahlerzeuger SSAB und dem Bergbaukonzern LKAB hat Vattenfall das Projekt HYBRIT initiiert mit dem Ziel, die traditionelle Stahlerzeugung mit Kokskohle bis 2026 in einer Demonstrationsanlage auf eine fossilfreie Erzeugung mit Hilfe von Wasserstoff umzustellen. Die HYBRIT-Pilotanlage soll in diesem Jahr in Betrieb gehen. Weitere Partnerschaft besteht mit dem Preem zur fossilfreien Erzeugung von Biodiesel. Diese Industriepartnerschaften haben das Potenzial, die schwedischen CO2-Emissionen um bis zu 30 Prozent zu senken. Wir glauben, dass diese Projekte beispielgebend sind und über die schwedischen Landesgrenzen hinaus Schule machen können.
In Deutschland hat insbesondere das Thema Wasserstoff 2019 einen regelrechten Boom erfahren. Auch wir sehen hierzulande in den kommenden Jahren viele Einsatzmöglichkeiten im Industriesektor. Wir wollen grünen Wasserstoff herstellen, speichern und dann unter anderem für Produktionsprozesse zur Verfügung stellen. Die Speicherung hat den Vorteil, dass man den Einsatz von Energie künftig deutlich flexibler gestalten kann als heutzutage. Einer unserer Vorschläge lautet, Wasserstoff mit Hilfe von Strom aus Offshore-Windenergie zu erzeugen.
Die Bundesregierung hat mit den Reallaboren hier gute Ansätze, es bedarf jedoch jetzt weiterer, mutiger Schritte bei der Umsetzung. Erneuerbarer Strom, der in beträchtlichen Mengen für die Elektrolyse von grünem Wasserstoff benötigt wird, muss von Umlagen befreit werden und zugleich muss die Nachfrage nach grünem Wasserstoff angereizt werden. Wir sehen beispielsweise für den öffentlichen Transport und den Schwerlastverkehr in Deutschland mittelfristig ein erhebliches Potenzial, was die benötigten Mengen angeht. Im den Jahren bis 2040 kann sich allein in diesem Sektor der jährliche Bedarf auf rund eine Million Tonnen grünen Wasserstoff summieren. Übersetzt in Terawattstunden Grünstrom wären dies 52 TWh jährlich, die man dafür benötigt.
Auf europäischer Ebene stimmt uns die pragmatische und von wirtschaftlichem Sachverstand geprägte Herangehensweise der neuen EU-Kommission beim Thema Klimaschutz optimistisch. Anlässlich der Vorstellung des europäischen „Green Deal“ im Dezember 2019 schrieb die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Gastbeitrag für eine große deutsche Tageszeitung, dass es an der Zeit sei, jetzt zu handeln. Der Wandel müsse sofort beginnen. Die EU-Kommission hat mit dem Green Deal einen Fahrplan vorgelegt, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Diese Aufgabe betreffe sowohl unsere Generation als auch die nächste. Es ist eine Aufgabe, an der wir alle gemeinsam arbeiten müssen.
Handelsblatt Energiegipfel 2020
22.1.2019
Ein „weiter so“ ist keine Option: Fossilfrei innerhalb einer Generation