„Alles, was jetzt gemacht wird, sind Notlösungen“

Wie werden die sogenannten Dezember-Abschläge bei der Fernwärme kalkuliert und erstattet? Im Gespräch mit der FAZ-Wirtschaftskorrespondentin Julia Löhr erklärt die Vertriebsleiterin der Vattenfall Wärme Berlin AG, Susanne Huneke, was die kurzfristigen Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung für das operative Kundengeschäft bedeuten.

Susanne Huneke, Vertriebsleiterin bei der Vattenfall Wärme Berlin AG

Susanne Huneke hat aufgehört zu zählen, wie viele neue Gesetze und Verordnungen sie in den vergangenen Wochen lesen musste. Was die Vertriebsleiterin für den Bereich Fernwärme beim Energieversorger Vattenfall aber weiß: Dass sie heilfroh ist, wenn der Dezember vorbei und halbwegs gut überstanden ist. Derzeit laufen in der Berliner Vattenfall Zentrale die letzten Vorbereitungen für die Soforthilfe für die Bezieher von Gas und Fernwärme. "Wir sollen den Kunden im Dezember nichts berechnen, also in Vorleistung gehen", erklärt Huneke. Die Versorger bekommen das Geld von der Bundesregierung, genauer: von der Förderbank KfW. Wann genau, das weiß Huneke nicht. "Hoffentlich vor Weihnachten."

Noch sind einige Details offen, die der Energieversorger für seinen Antrag braucht. Anders als beim Gas zahlten Fernwärmekunden in der Regel keine monatlichen Abschläge, sondern quartalsweise oder in anderen Abständen, berichtet Huneke. "Da gibt es alternative Rechenwege, die sind aber im Gesetz unklar formuliert."
In 20 000 Vertragskonten müssen sie und ihr Team die Soforthilfe einpflegen. Für Großabnehmer gelten Sonderregeln. "Ist jemand, der bei uns als eingetragener Verein registriert ist, wirklich staatlich anerkannt? Welches Krankenhaus ist berechtigt, welches nicht?", zählt Huneke einige Beispiele auf. Rund 1000 solcher Einzelfallprüfungen seien nötig.

Und wenn das neue Jahr kommt, geht die Arbeit weiter. Am Freitag beschloss das Kabinett die Gesetzesentwürfe von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu den Gas-, Fernwärme- und Strompreisbremsen, die von März an greifen sollten - rückwirkend von Januar an. Der Vorsitzende des Normenkontrollrats, Lutz Goebel, dämpfte am Wochenende schon einmal die Erwartungen: "Es ist unwahrscheinlich, dass die vielen unterschiedlichen Entlastungsmaßnahmen der Regierung von der Verwaltung sauber exekutiert werden können", sagte er der "Welt am Sonntag". Jeder werde irgendwann sein Geld bekommen, "aber es wird Zeit kosten, und es werden Fehler passieren". Die Regierungsberater beklagen seit Jahren die Flut neuer Vorgaben und den geringen Digitalisierungsgrad.

So richtig sie die Entlastungen findet: "Alles, was jetzt gemacht wird, sind Notlösungen", konstatiert Susanne Huneke von Vattenfall. "Notlösungen, weil der Staat nicht die Bankverbindungen der Bürger hat, ihnen nicht direkt Geld überweisen kann." Im Sommer hätten sie alle Kunden im Zuge der Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung über die zu erwartenden Kostensteigerungen informieren müssen. Kurz darauf wurden die Preisbremsen angekündigt. "Während wir noch versuchen, den Kunden zu erklären, was sich ändert, beschließt die Politik wieder etwas Neues", sagte Huneke. "Das ist schon herausfordernd, um es vorsichtig auszudrücken."

Herausgefordert fühlt sich auch Dirk Lönnecker aus dem Vorstand der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft 1892. Etwa 7000 Wohnungen hat diese in der Hauptstadt, die Bewohner sind Mieter und Eigentümer zugleich. Auch Lönnecker hat schon viele Schreiben verschickt: Erst zu besagter Verordnung und der Gasumlage, jetzt zu der Soforthilfe und den Preisbremsen. Mal wird das Wohnen teurer, mal günstiger. "Wir fällen Bäume noch und nöcher", sagt er lakonisch mit Blick auf den Papierverbrauch. Warum er nicht einfach per E-Mail informiert? Nicht in jedem Fall liege dafür eine Zustimmung vor. Außerdem seien 40 Prozent der Bewohner Rentner. Im Moment schaut Lönnecker jeden Tag auf das Girokonto der Genossenschaft. Ob der Gas- und Fernwärmeabschlag für Dezember wirklich nicht abgebucht wird? Er ist da skeptisch.

Die Genossenschaft hatte ihre Bewohner schon vor einiger Zeit gebeten, auf freiwilliger Basis mehr für die Nebenkosten zu überweisen. Mit den staatlich gedeckelten Preisen im kommenden Jahr - Gas gibt es für 80 Prozent des früheren Verbrauchs zu 12 Cent je Kilowattstunde, Fernwärme für 9,5 Cent - müssen die Vorauszahlungen abermals angepasst werden. Hinzu kommt die Aufteilung des CO2-Preises, ebenfalls von Anfang 2023 an. Ein zehnstufiges Modell hat die Regierung dafür entwickelt. Aber für denkmalgeschützte Häuser und Milieuschutzgebiete gelten Ausnahmen. Das betreffe bei ihnen mehr als die Hälfte des Wohnungsbestands, sagt Lönnecker. "Wir müssen jetzt lauter Sonderlocken drehen."

Einer, den man dieser Tage vergleichsweise entspannt erlebt, ist Malte Hollstein, Geschäftsführer Kundenservice von Deutschlands größtem Wohnungsunternehmen Vonovia. Mit der Soforthilfe im Dezember seien sie "durch", sagt er. "300 000 Informationsbriefe zu den Änderungen sind bereits verschickt." Auch die Prozesse im Unternehmen seien angepasst. "Wenn Mieter zu wenig überweisen, sind die IT-Systeme normalerweise so programmiert, dass es dann Zahlungserinnerungen gibt", berichtet Hollstein. "Jetzt mussten wir die Algorithmen so ändern, dass das nicht passiert und das System erkennt, dass da jemand diese eine Abschlagzahlung aussetzt." Man nehme dann individuell Kontakt auf. "Durch" ist auch die Anpassung der Vorauszahlungen an die geplanten Preisbremsen. Im September seien sie noch davon ausgegangen, dass sich die Heizkosten der Mieter verdoppeln würden, sagt Hollstein. "Mit den Preisbremsen gehen wir von einer Erhöhung um 65 Prozent aus."

Sein Eindruck ist, dass sich die meisten Mieter darauf eingestellt haben. Die Zahl der Anrufe bei der Vonovia-Hotline sei überschaubar, auch Zahlungsrückstände gebe es nur wenige. Auch bei Vattenfall meldeten sich zuletzt weniger Kunden, um etwa nach Raten- oder Stundungsplänen zu fragen. Susanne Huneke findet das nur zum Teil beruhigend. "Ich befürchte, dass sich durch die Hilfen der Eindruck festsetzt: Der Staat übernimmt jetzt den Großteil des Preisanstiegs, dann ist ja alles gut." Werde nicht genug Energie gespart, drohten Engpässe in der Versorgung. Dagegen helfe dann auch keine Soforthilfe.

 


Der Artikel „Alles, was jetzt gemacht wird, sind Notlösungen“
von Julia Löhr erschien am 28.11.2022 zuerst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung - FAZ.NET  © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv 

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