Digitale Zwillinge – mehr Rentabilität in der Offshore-Windenergie
Digitale Zwillinge können der Windindustrie helfen, den maximalen Nutzen aus ihren Offshore-Windparks zu ziehen. Echtzeitmessungen der Bauwerke und des Betriebs gewährleisten, dass alle Entscheidungen über den Betrieb der Windparks auf der Grundlage aktueller Fakten getroffen werden.
Offshore-Windparks wurden vor etwa 30 Jahren eingeführt und gelten heute als ausgereifte Industrie. Ihre Geschäftsmodelle basierten bis vor Kurzem auf subventionierten Märkten, die jedoch im Begriff sind zu verschwinden. In Kombination mit den Schwierigkeiten der vergangenen Jahre im Bereich der Offshore-Windenergie hat dies die Einführung neuer Technologien erforderlich gemacht, um den Entwurf neuer Windturbinen zu optimieren und bestehende Windturbinen so effizient und lange wie möglich am Laufen zu halten – selbst über ihre ursprünglich erwartete Lebensdauer hinaus.
Der enthüllende Zwilling
„Ohne darüber nachzudenken, nutzen die Menschen täglich digitale Zwillinge, um sich zurechtzufinden“, erklärt Nadir Azam, Strategic Leader Support Structure Integrity von Vattenfall.
„Google Maps ist ein solches Beispiel. Es ist ein digitaler Spiegel unserer Welt und bietet Informationen über eine Vielzahl von Dingen wie Restaurants, deren Öffnungszeiten, Speisekarten und Bewertungen und bietet darüber hinaus Echtzeitinformationen über die Reisezeit auf der Grundlage von Entfernungen oder Verkehrsstaus. Es ist sehr einfach zu bedienen und zu verstehen, hinter der Oberfläche verbirgt sich allerdings ein komplexes System, das auf fortschrittlichen Technologien wie maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz basiert. Wir entwickeln das Pendant zu Google Maps für Offshore-Windparks.“
In der Windkraftbranche können digitale Zwillinge ein leistungsfähiges Instrument für die Entwurfsoptimierung von Windturbinen, für den proaktiven Betrieb und die Wartung sowie für die mögliche Verlängerung der Lebensdauer von Turbinen sein. Die hochmodernen digitalen Zwillinge von Vattenfall basieren auf den Daten von Sensoren, die an den Windturbinen installiert sind. Diese Sensoren liefern Daten über das strukturelle Verhalten der einzelnen Windturbinen und sie werden mit allen anderen verfügbaren Daten von Vattenfall, wie Betriebs- und Umweltdaten, zu einer gemeinsamen digitalen Zwillingslösung zusammengeführt.
Diese digitale Zwillingslösung bietet Informationen über den gesamten Windparkbestand von Vattenfall und liefert darüber hinaus detaillierte Einblicke auf Windparkebene und für jede einzelne Windturbine.
„Entwurfsmodelle für Windturbinen beruhen in der Regel auf Branchenvorschriften und -normen sowie auf Annahmen. Unser hochmoderner digitaler Zwilling bildet das reale Verhalten der Windturbinen ab. In der Regel gibt es eine Diskrepanz zwischen dem, was im Entwurf erwartet wurde, und dem Verhalten der Windturbine in der Realität“, erklärt Johan Toftekær, Lead for In-house Tool Development bei Vattenfall. „Das Einzigartige an unserem digitalen Zwilling ist, dass er sowohl das strukturelle Verhalten als auch die Betriebs- und Umgebungsbedingungen untersucht und die Daten verwendet, um das ursprüngliche Entwurfsmodell so zu kalibrieren, dass es dem Verhalten in der Realität entspricht.“
Von Annahmen zu Echtzeitmessungen
Entwürfe von Vorschriften und Normen sind in der Regel konservativ, um sichere Bauwerke zu schaffen. Es wird jedoch immer wichtiger, unsere Schätzungen und Annahmen zu präzisieren, ohne dabei die Sicherheit zu gefährden. Dies gilt insbesondere für die Offshore-Windindustrie, denn hier haben die jüngsten Projekte nicht gezeigt, dass sie wirklich rentabel sind.
„Windturbinen unterliegen während ihrer Lebensdauer einer Ermüdung, die die erwartete Lebensdauer der Turbine bestimmt“, erklärt Michael Sandholm Jepsen, Technical Authority Support Structure Integrity bei Vattenfall. „Wir haben mit unseren digitalen Zwillingen nachgewiesen, dass der Verschleiß von Windturbinen geringer ist als in den ursprünglichen Entwürfen vorhergesagt. Wir müssen diese Informationen proaktiv nutzen, um die Lebensdauer unserer bestehenden Windparks auf sichere und kostenoptimale Weise zu verlängern. Darüber hinaus können wir mithilfe dieser Erkenntnisse unsere künftigen Entwürfe für neue Windparks optimieren.“
Der digitale Zwilling kann beispielsweise zeigen, dass ein Bauwerk, das für 25 Jahre ausgelegt ist, tatsächlich eine Lebensdauer von 45 Jahren oder mehr Jahren hat. So werden weitere 20 Jahre wertvoller Betrieb ermöglicht, der dem Markt erneuerbare Energie und mehr Einnahmen sichert.
Wertschöpfung in allen Phasen des Lebenszyklus
Die digitalen Zwillinge schaffen in jeder Phase des Lebenszyklus einer Windturbine einen Mehrwert – während des Entwurfs, des Betriebs und der Wartung sowie während der potenziell längeren Lebensdauer. Die im Laufe der gesamten Lebensdauer einer Windturbine gewonnenen Erkenntnisse können auch zur Optimierung des Entwurfs neuer Windturbinen durch das so genannte datengesteuerte Design genutzt werden. Wenn die Bauwerke durch den digitalen Zwilling kontinuierlich in Echtzeit vermessen werden, können beispielsweise viele physische Inspektionen vermieden, und bei schlecht funktionierenden Windturbinen können frühzeitig Abhilfemaßnahmen ergriffen werden.
„Wir wollen unsere Windparks so lange betreiben, bis ihre Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben ist“, erklärt Michael Sandholm Jepsen. „Das können 20, 30, 40 Jahre oder mehr als die ursprüngliche angenommene Lebensdauer sein. Um dies zu ermöglichen, haben wir einen Plan für eine potenzielle Verlängerung der Lebensdauer neuer Windparks um 10 Jahre im Voraus entwickelt, der in den ursprünglichen Geschäftsplan aufgenommen wurde. Durch eine proaktive Vorgehensweise und den Einsatz unserer digitalen Zwillingslösung von der Installation an und während der gesamten Lebensdauer der Windturbine können wir die Leistung der Anlage stets in Echtzeit überwachen. Der Plan zur vorzeitigen Lebensdauerverlängerung wurde von der Zertifizierungsgesellschaft DNV geprüft und in zwei unserer neuesten Windparks umgesetzt.
Johan Toftekær fügt hinzu, dass es auf der Grundlage der bei den ersten digitalen Zwillingen beobachteten Trends realistisch erscheint, auch die für neue Windturbinen verwendete Stahlmenge erheblich zu reduzieren und damit die Kosten deutlich zu senken.
Bewegung in der Branche
Während viele der von Ingenieuren verwendeten aktuellen Vorschriften und Normen unter anderem auf Labortests beruhen, ist die Verwendung digitaler Zwillinge ein vollwertiger Labortest unter realen Bedingungen. Digitale Zwillinge werden in der Öl- und Gasindustrie bereits seit vielen Jahren eingesetzt, um nachzuweisen, dass ein Bauwerk ein höheres Sicherheitsniveau aufweist als erwartet, was wiederum eine sichere und kosteneffiziente Lebensdauerverlängerung ermöglicht. Eine spezielle Zertifizierung solcher Bauwerke wird auf Projektbasis erteilt.
Vattenfall ist davon überzeugt, dass eine unternehmens- und grenzübergreifende Zusammenarbeit in der Windbranche die gesamte Branche voranbringen kann. Gemeinsam mit anderen Fachleuten beteiligt sich eine engagierte Gruppe von 17 Spezialisten im Team des digitalen Zwillings mit ihrer umfassenden Erfahrung auf operativer Ebene und sie ist bereits jetzt an der Erarbeitung vieler Vorschriften und Standards beteiligt. Die Teilnahme an einem gemeinsamen Industrieprojekt ist geplant, bei dem verschiedene Vorschriften und Normen im Bereich der Offshore-Windenergie überprüft werden, um Empfehlungen für künftige Änderungen zu erarbeiten, die beispielsweise auf den Erkenntnissen unserer digitalen Zwillinge beruhen.
„Angesichts der Tausenden weltweit geplanten Windturbinen wäre es sinnvoll, die Vorschriften und Normen entsprechend den neuen Erkenntnissen und Entdeckungen der digitalen Zwillinge zu aktualisieren“, so Nadir Azam abschließend. „Angenommen, die Daten von 500 Windturbinen in mehreren Windparks zeigen, dass die bestehenden Vorschriften und Normen zu konservativ sind – sollten wir dann nicht gemeinsam die in den Vorschriften und Normen angewandten Sicherheitsniveaus überprüfen?“
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