„Die Energiewende ist mittlerweile unumkehrbar“

Robert Zurawski traf sich am 8. Juli 2025 mit Nakissa Salavati und Michael Bauchmüller von der Süddeutschen Zeitung zu einem Interview bei Vattenfall am Südkreuz in Berlin.

Das Interview erschien am 21.07.2025 im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung auf Seite 14 mit diesem Wortlaut:

Kein Energiekonzern hat sich in kurzer Zeit so gewandelt wie Vattenfall. Einst Herr über die ostdeutsche Braunkohle, macht das Unternehmen nun ganz auf „fossilfrei“. Eine Alternative gebe es nicht, sagt Deutschland-Chef Robert Zurawski.

Interview: Michael Bauchmüller und Nakissa Salavati 

Robert Zurawski empfängt in der neuen Vattenfall-Zentrale in Berlin, außen unscheinbar, innen luftig und modern, viel Glas und Holz. Der schwedische Energiekonzern verdient sein Geld auch mit Atomkraftwerken – nur nicht in Deutschland. Hier versorgt Vattenfall mehrere Millionen Menschen mit Strom, installiert Wärmepumpen und betreibt selbst Windanlagen. Am Revers trägt Zurawski einen Windrad-Anstecker, die Manschettenknöpfe sind kleine rote Autos. Wahrscheinlich sollen es Elektroautos sein, denn der Vattenfall-Deutschland-Chef ist ein großer Fan der Energiewende. Die aber laufe an einigen Stellen derzeit alles andere als rund, warnt er.

Robert Zurawski, Deutschland-Chef bei Vattenfall

Robert Zurawski, Deutschland-Chef bei Vattenfall

SZ: Herr Zurawski, Vattenfall war mal einer der vier großen deutschen Stromkonzerne – mit Atomkraftwerken, Braunkohletagebauen, Stromnetzen. Viel ist davon nicht mehr übrig. Wie fühlt man sich als Chef eines Torsos?

Robert Zurawski: Vattenfall selber ist ja nicht kleiner geworden, nur in Deutschland haben wir einiges verkauft. Ein Torso ist das trotzdem nicht, im Gegenteil. Eigentlich sind wir in Deutschland jetzt der perfekte Stromkonzern: Wir erzeugen Strom aus erneuerbaren Energien, wir haben riesige Pumpspeicher, handeln Energie und sind die Nummer drei beim Stromvertrieb, mit mehr als fünf Millionen Kunden. Und wir bauen noch zu.

Aber wie baut man ein Unternehmen derart um?

Das ist nicht einfach. Bei den Beschäftigten sind wir zahlenmäßig stark geschrumpft, in unserem Kerngeschäft bei fossilfreier Erzeugung, Speichern, Energiedienstleistungen und E-Mobilität aber zugleich enorm gewachsen. Trotzdem gab es schon zwischenzeitlich mal die Frage: Was ist Vattenfall eigentlich?

Und, was ist es?

Ein Unternehmen, das für die Fossilfreiheit steht. Das zieht übrigens auch viele junge Leute an, die bei uns anfangen. Die brennen für eine Welt ohne CO2.

Wie sicher können Sie sein, dass Sie damit noch auf dem richtigen Dampfer sind? Die neue Bundesregierung redet gerade lieber über Gaskraftwerke als über die Energiewende.

Ich jedenfalls finde unseren Weg richtig. Und ich glaube auch, dass wir gar nicht daran vorbeikommen. Europa bleibt nur wettbewerbsfähig, wenn es fossile Energie hinter sich lässt. Nicht umgekehrt.

Trotzdem sollen jetzt 20 Gigawatt Gaskraftwerke entstehen.

Man wird sicher ein paar neue Reservekraftwerke brauchen. Ob es 20 Gigawatt sein müssen, weiß ich nicht, und wir selbst werden da auch nicht investieren. Aber ich würde mir wünschen, dass wir das ganze Thema breiter diskutieren.

Inwiefern?

Wir sprechen immer über das Angebot, aber selten über die Nachfrage. Wenn wir mit digitalen Zählern weiter wären in Deutschland, könnte man mehr flexible Tarife anbieten. Das gäbe viel mehr Anreize, Strom vor allem dann zu verbrauchen, wenn es ihn reichlich gibt – und weniger in teuren Stunden. Das würde das System und auch die Verbraucher entlasten. Da sind andere in Europa längst weiter. Und natürlich spielen auch Stromspeicher eine Rolle, von der Großbatterie bis zum Pumpspeicher.

Pumpspeicher müssen Sie erklären.

Man baut einen See oben und einen unten, und die verbindet man mit Rohren. Hat man viel Strom, pumpt man das Wasser hoch. Braucht man welchen, jagt man ihn durch die Turbine. Wir haben in Deutschland 2,7 Gigawatt installierte Speicherleistung. Und wir planen gerade einen weiteren, in Thüringen, mit bis zu 500 Megawatt. Das ist die Leistung eines Gaskraftwerks. Und es kann obendrein das Stromnetz entlasten. Für mich ist das Teil der Technologieoffenheit.

Für Ihren schwedischen Mutterkonzern würde diese Offenheit auch die Atomkraft umfassen.

Jedes Land muss das für sich entscheiden. Wir haben uns als Gesellschaft für den Atomausstieg entschieden und fertig. Das wieder zurückzudrehen, würde alles nur noch teurer machen. Unsere Reaktoren jedenfalls werden jetzt zerlegt. Ich war erst kürzlich auf der Baustelle in Krümmel, da wird gerade die Turbine zersägt.

Und, fühlt sich das an, als würde man sein Auto in die Schrottpresse geben?

Es gibt schönere Anblicke. Aber das ist nun mal die Entscheidung.

Das Wirtschaftsministerium lässt derzeit eine Bestandsaufnahme der Energiewende erstellen. Haben Sie Sorge, dass an deren Ende noch einmal alles infrage gestellt wird?

Nein, die Energiewende ist mittlerweile unumkehrbar. Es ist ja richtig, auch die Frage nach der Kosteneffizienz zu stellen. Wir dürfen dabei nur keinesfalls an Tempo verlieren. Eine Delle beim Ausbau der Erneuerbaren können wir uns nicht leisten. Aber wenn ich mir den Koalitionsvertrag anschaue, mache ich mir gar nicht so große Sorgen.

Warum?

Weil er sich zum Ziel der Klimaneutralität bis 2045 bekennt. Vattenfall will sogar schon 2040 CO2-neutral sein. Da sind wir voll auf einer Wellenlänge. Wir müssen aber die Bevölkerung mitnehmen. Dazu gehört auch, dass man sich die Kosten noch einmal anschaut.

Zum Beispiel die für den Ausbau des Stromnetzes – die sind zuletzt massiv in die Höhe geschossen.

Aber mit dem Ausbau der Netze können wir nichts falsch machen. Der muss kommen. Wir haben Windparks zur See, DanTysk zum Beispiel, da werden wir in einem Viertel der Zeit, in der wir einspeisen könnten, eingebremst – weil an Land Leitungen für den Weitertransport fehlen. Wir stehen aktuell vor der Frage, ob wir den Netzausbau beschleunigen oder den Ausbau der Erneuerbaren ausbremsen. Für mich kann es da nur eine Antwort geben: Netzausbau. Die Entscheidung hin zu einem neuen Stromsystem ist längst gefallen.

Ein neues System?

Als ich vor 25 Jahren bei Vattenfall anfing, waren Kohle- und Kernkraftwerke die Grundlast. Das gibt es so nicht mehr. Letztes Jahr wurde in Deutschland der Strom zu 57 Prozent aus erneuerbaren Energien produziert. Aber Netze und Speicher sind nicht mitgewachsen, und das müssen wir nachholen. Ein Rückschritt wäre da fatal, der würde alles nur noch teurer machen. Wir haben da gerade einen Berg an Kosten und Investitionen vor uns. Aber wenn wir da drüber sind, wird es wieder günstiger.

Ob das reicht, die Industrie im Land zu halten? Sie klagt über wenig so sehr wie über teuren Strom.

Aber da passiert ja auch etwas, etwa durch die Senkung von Netzentgelten und Stromsteuer. Nur den Industriestrompreis halte ich für einen Fehler.

Wieso?

Es gäbe bessere Instrumente, wie beispielsweise staatliche Kreditgarantien für private Stromlieferverträge. Wir bauen in der Nord- und Ostsee Windparks, die völlig ohne Förderung auskommen – weil wir den Strom direkt an große Unternehmen verkaufen. Das könnte man auch auf den Mittelstand ausweiten. Hier scheitern Strompartnerschaften oft an höheren Risikoaufschlägen. Staatliche Garantien reduzieren diese Aufschläge, bei überschaubarem Haushaltsrisiko. Das wäre für den Staat viel billiger als ein mit Milliarden Euro subventionierter Industriestrompreis, und für die Industrie wäre der Strom ähnlich günstig.

Für private Haushalte will die Bundesregierung die Stromsteuer doch nicht abschaffen. Halten Sie das für einen Fehler?

Wir hätten uns über eine geringere Stromsteuer für alle gefreut. Jetzt bleibt sie hoch und das könnte manche Haushalte davon abhalten, zum Beispiel auf ein E-Auto oder eine Wärmepumpe umzusteigen. Das sind Bereiche, in denen wir sehr aktiv sind, auch mit eigenen Handwerksbetrieben.

Die Koalition hatte sich auch vorgenommen, das zugehörige Heizungsgesetz abzuschaffen. Spüren Sie da Verunsicherung?

Ganz klar: Ja. Schon letztes Jahr war nicht das Jahr der Wärmepumpe, wegen der Verunsicherung. Das hat sich etwas gelegt. Aber jetzt habe ich Sorge, dass wir wieder eine kommunikative Verwirrung bekommen, weil keiner weiß, wie genau das Gesetz geändert wird. Dabei ist längst klar: Eine Wärmepumpe rechnet sich für die meisten Haushalte jetzt schon.

Wie können Sie da so sicher sein?

Eine Glaskugel habe ich auch nicht. Aber klar ist: Der CO2-Ausstoß wird im EU-Emissionshandel immer teurer. Beim Gas steigen die Netzkosten, wenn immer weniger Kunden das Verteilnetz finanzieren. Bei Wärmepumpen gab es in den letzten fünf Jahren extreme technische Fortschritte. Wir sind auf einem guten Weg.

Würden Sie sagen: Alles in allem kriegen wir in Europa Klimaneutralität bis 2045 gewuppt?

Ich würde sagen: Ja. Wird es einfach? Nein. Aber wir brauchen das passende System dafür: Erneuerbare, Netze und flexible Speicher.

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