
Offshore-Windenergie und passives Fischen – Meeresraum aktiv gemeinsam nutzen
Mit dem Bau weiterer Offshore-Windparks, um die Energiewende voranzutreiben, verschärft sich die Konkurrenz um den Meeresraum zwischen verschiedensten Interessengruppen – von der Fischerei über die Schifffahrt bis hin zum Naturschutz. Forschende untersuchen, wie erneuerbare Energien und nachhaltige Fischerei so koexistieren können, dass sowohl die Ernährungssicherheit gewährleistet ist als auch die Klimaziele erreicht werden.
Unser Planet besteht zu mehr als 70 Prozent aus Wasser. Eine Menge, könnte man meinen. Aber viel von dem, wofür der Mensch die Ozeane nutzt, spielt sich in denselben Gebieten ab. Über die Ozeane werden Waren und Menschen transportiert, sie dienen uns als Quelle für Nahrungsmittel und wir gewinnen dort Energie.
Aus diesem Grund ist es zunehmend wichtig, Wege zu finden, wie sich Meeresgebiete für mehrere Zwecke gleichzeitig nutzen lassen.
„In Anbetracht unserer Prognosen für die kommenden Jahrzehnte, speziell für die Nord- und Ostsee, ist klar, dass sich die menschliche Aktivität dort weiter verdichten wird, vor allem in relativ flachen und küstennahen Gebieten, also dort, wo auch der derzeitige Ausbau der Windenergie schwerpunktmäßig stattfindet", erklärt Tim Wilms, Bioscience Expert bei Vattenfall. „Diese Zonen sind schon jetzt die Gebiete, die am intensivsten genutzt werden, und die einzelnen Branchen werden sich nicht den Luxus leisten können, dort unbeirrt weiter nur für sich zu wirtschaften. Wenn wir jetzt nicht anfangen, nach Synergien Ausschau zu halten, laufen wir Gefahr, später in räumliche Konflikte zu geraten. Wir gehen in dieser Frage proaktiv vor: frühzeitig Kontakt aufnehmen, mit den Stakeholdern sprechen und Pilotstudien in die Wege leiten, die eine gemeinsame Nutzung in der Praxis testen.“
Passives Fischen – die Vorteile
Eine Lösung liegt darin, Windparks und passives Fischen zu kombinieren. Den Reiz dieser Methode verrät bereits ihr Name. Der Einsatz von stationärem Fanggerät wie Fallen, Reusen, Körben, Handleinen oder Stellnetzen ermöglicht im Gegensatz zu aktiven Methoden wie der Schleppnetzfischerei einen Fischfang, der schonender, mit weniger Belastungen, erfolgt. Zwischen den Turbinen können beispielsweise kleinere Boote unterwegs sein, und das passive Fischen minimiert das Risiko, dass sich die Netze in Kabeln verfangen und Ausrüstung Schaden nimmt.
„Passives Fanggerät bewegt sich nicht. Es bleibt an der Stelle, wo man es einsetzt. Es ist somit einfacher, diese Fangmittel in stark kontrollierten Bereichen wie einem Offshore-Windpark mit Sicherheitszonen einzusetzen", sagt Peter Ljungberg, Spezialist für Umweltverträglichkeitsprüfungen an der Swedish University of Agricultural Sciences.
Vertikale Netze und selektive Fallen haben einen weiteren Vorteil: Sie sind eine nachhaltigere und selektivere Form der Fischerei als die riesigen Schleppnetze, die großflächig über den Meeresboden gezogen werden und alles auf ihrem Weg mitnehmen.
„Beim passiven Fischen fällt nicht annähernd so viel Beifang an“, weiß Wilms. „Diese Methoden zielen auf bestimmte Arten ab, und es wird dabei verstärkt darauf geachtet, den Beifang von Seevögeln und Meeressäugern auf ein Minimum zu reduzieren. Und es geht auch darum, die Auswirkungen auf den Meeresboden und das Risiko für die Kabel zu verringern.“
Zu den weiteren Vorteilen der passiven Fischerei zählt laut Ljungberg, dass die Meerestiere lebend gefangen werden.
„Fallen können quasi ein Schutzraum sein: Fische, auf die der Fang nicht abzielt, werden einfach wieder freigelassen", erklärt er. „Und es ist einfacher, Vögel und Meeressäuger wie etwa Robben von dem gewünschten Fang und von dem Fanggerät fernzuhalten.“

Der schwedische Windpark Lillgrund.
Vertrauensaufbau durch Zusammenarbeit
Gemeinsam mit der Swedish University of Agricultural Sciences testet Vattenfall das passive Fischereikonzept im Rahmen des Projekts WIND4COCO in seinem Windpark Lillgrund in der Ostsee. Das Projekt stützt sich auf eine seltene Kombination aus Studien, die sowohl vor als auch nach dem Bau des Windparks durchgeführt wurden und den Forschenden einzigartige Langzeiteinblicke bieten, wie das Leben im Meer unter dem Einfluss der Offshore-Winderzeugung reagiert. Jetzt, fast 14 Jahre später, sind die Wissenschaftler erneut vor Ort, um nachzuvollziehen, wie sich die Fischbestände verändert haben, und sie gehen einer neuen Fragestellung nach: Sind Windparks Gebiete, die für eine Co-Nutzung – zur Erzeugung sauberer Energie und für nachhaltige Fischerei – geeignet sind? Durch die Erprobung verschiedener schonender Methoden des Fischfangs soll das Projekt herausfinden, wie es gelingen kann, dass beides in denselben Gewässern stattfindet.
Ljungberg sieht in dem Projekt eine hervorragende Möglichkeit, die Auswirkungen auf die Meeresfauna zu untersuchen. Es gibt bereits einige internationale Studien, aber er hätte gerne mehr davon.
„Dieses Thema ist noch nicht ausreichend erforscht. Mich überrascht das. Mehr Forschung würde es einfacher machen, die Auswirkungen von Windparks auf die Fischfauna von den Folgen zu unterscheiden, die auf allgemeine Umweltveränderungen zurückzuführen sind. Wir müssen dahin kommen, dass wir in der Lage sind, mehr zu überwachen.“
Die Initiative geht jedoch über die Beantwortung wichtiger forschungsbezogener Fragen hinaus.
„Bei dieser Erprobung einer Zusammenarbeit in Offshore-Windparks mit Fischern vor Ort geht es nicht nur darum, Ausrüstung oder gemeinsames Nutzungspotenzial zu testen, sondern auch um den Aufbau von Vertrauen“, sagt Mats Jarnhammar, Senior Stakeholder Manager bei Vattenfall. „Indem wir Stakeholder frühzeitig in den Prozess einbeziehen, schaffen wir einen Raum, der allen gemeinsam gehört. Das baut Spannungen ab und fördert einen konstruktiven Dialog mit den Fischereibetrieben.“
Jenseits der Fischerei: eine Zukunft mit verschiedensten Nutzungsoptionen
Die gemeinsame Nutzung des Meeresraums eröffnet vielerlei Chancen, nicht nur zugunsten der Fischereiindustrie oder der Energieunternehmen, sondern auch für den Schutz unserer Ozeane.
„Da Offshore-Aktivitäten zunehmen, müssen wir ein und dieselben Gewässer intelligenter nutzen“, stellt Tim Wilms fest. „Durch eine naturverträgliche Gestaltung, z. B. Kolkschutz, der die Riffbildung begünstigt, oder Unterschlupf- und Nahrungsflächen, können Windparks die Meeresfauna unterstützen und gleichzeitig sauberen Strom erzeugen. Und wo es die Vorschriften und die Sicherheit zulassen, kann zwischen den Turbinen passiv gefischt werden, was Konflikte mit dem Fanggerät reduziert und uns hilft, den Raum besser zu nutzen. Das Ziel ist eine gemeinsame Nutzung durch intelligente Raumplanung, wobei die passive Fischerei in Windparks ein Element ist, das funktioniert.“
Dabei ist klar, dass das passive Fischen nur ein Baustein ist. Auch Aquakulturen wie etwa Algenzucht, Naturschutzmaßnahmen oder sogar schwimmende Solaranlagen könnten Co-Nutzungsoptionen für künftige Offshore-Windparks sein. Diese Ideen sind eng mit dem Biodiversity Transition Plan 2030 von Vattenfall verknüpft, der Innovationen und Lösungen fördert, die sowohl der Natur als auch der Gesellschaft zugutekommen.
Wie geht es weiter?
Die Forschung wird fortgesetzt und für 2026 ist weitere Feldforschung im Lillgrund geplant. Doch die Vision zeichnet sich bereits kristallklar ab: eine Zukunft, in der erneuerbare Energien, nachhaltige Fischerei und Meeresschutz Hand in Hand gehen. Die gemeinsame Nutzung der Meere ist nicht nur eine Notwendigkeit, sondern bietet auch die Chance, die Art und Weise, wie wir Gewässer gemeinsam nutzen, neu zu denken.
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