Meteorologie im Strommarkt: "Fehlerquote gering halten, Zeitvorteile ausnutzen"
Der Anteil von Wind und Sonne im Strommix nimmt stetig zu. Die Energieerzeugung hängt dadurch immer stärker vom Wetter ab. Präzise Wettervorhersagen und meteorologisches Wissen sind für Energieunternehmen im fossilfreien Zeitalter daher unverzichtbar. Umgekehrt können falsche Prognosen hohe Kosten und enorme finanzielle Risiken mit sich bringen.
„Die Auswirkungen meiner Arbeit spüre ich unmittelbar“, sagt Malte Rieck, Meteorologe im Energiehandel von Vattenfall in Hamburg, mit ruhiger Stimme. „Denn das Wettergeschehen gibt mir laufend direkte Rückmeldungen, ob Prognosen eingetroffen sind oder nicht. Die Folgen sind messbar in Euro.“ Im Team ‚Vorhersage und Optimierung‘ prognostiziert Rieck anhand von Wetterdaten europaweit Strom aus Wind- und Solaranalagen; auch aus Anlagen Dritter, die sogenannte Direktvermarktung. Bei der Vermarktung von Erneuerbaren arbeiten eine Vielzahl von Experten eng zusammen. Überwacht werden die Kraftwerke und Prognosen zum Beispiel vom Dispatch Team. Eine Tätigkeit, die rund um die Uhr, an 7 Tagen in der Woche, im Schichtbetrieb läuft.
Kosten für Ausgleichsenergie gering halten
Verkauft wird der Strom basierend auf Wetterprognosen entweder Day-Ahead für den Folgetag oder Intraday, am selben Tag. „Für den Folgetag prognostizieren wir die Stromerzeugung unserer Anlagen so exakt wie möglich und platzieren daraufhin Gebote an der Strombörse“, erklärt Rieck. Dies ist gängige Praxis: Alle Stromversorger bieten täglich um 12 Uhr Strommengen an, die sie zu einem bestimmten Zeitpunkt am nächsten Tag liefern wollen. Die Gebote werden anschließend mit der erwarteten Nachfrage abgeglichen. Preise bilden sich.
Rieck stellt jedoch klar: „Die exakte Stromerzeugung aus Erneuerbaren können wir niemals hundertprozentig vorhersagen. Ein kleiner Anteil bleibt je nach Wetterlage bis zur Lieferung ungewiss. Ziel ist es, besser zu prognostizieren als der Rest des Marktes und die Fehlerquote so gering wie möglich halten.“ Abweichungen zwischen Prognosen oder der tatsächlichen Erzeugung werden, wenn möglich kurz vor Lieferung am Intraday-Markt gehandelt. „Und zwar möglichst schnell, um Zeitvorteile auszunutzen“, so Rieck. Ziel ist, die Kosten für sogenannte Ausgleichsenergie so gering wie möglich zu halten. Diese Kosten fallen an, wenn Erzeugungsanlagen in der Realität, abhängig vom Wetter, mehr oder weniger Strom erzeugen als zuvor prognostiziert und gehandelt. Um das Stromnetz stabil zu halten, müssen die Netzbetreiber Reserven aktivieren. Die Kosten dafür werden auf die Marktteilnehmer umgelegt, die Abweichungen zwischen der prognostizierten und tatsächlich erzeugten Strommenge haben. Das bedeutet im Umkehrschluss: „Wenn man die Ausbeute aus Wind- und Solarparks möglichst genau prognostizieren kann, führt das zu weniger Ausgleichsenergiekosten im Stromnetz und somit über Umwege zu niedrigeren Netzentgelten, die jeder Stromkunde zahlen muss“, erklärt Rieck.
"Preissprünge fallen heftiger aus"
Mit Schwankungen umzugehen, ist für Malte Rieck Arbeitsroutine. Während es laut Bundesnetzagentur im Jahr 2015 insgesamt noch rund 200 Einzelstunden gab, innerhalb derer sich die Einspeiseleistung wetterbedingt um 5 Gigawatt nach oben oder unten verändert hat, werden es bis 2025 bereits 1000 Stunden sein – das fünffache. „Der Markt ist volatiler geworden, Preissprünge fallen heftiger aus“, beobachtet Rieck. Jeden Morgen analysiert er die aktuelle Wetterlage und prüft, welche wetterbedingten Risiken für die Anlagen kurzfristig auftreten könnten. „Das können Gewitter, Böen, Nebel oder plötzliche Wolkenbildungen sein, aber auch sicherheitsbedingte Abschaltungen von Windturbinen wegen orkanartiger Winde oder Schnee auf Solarpanelen.“ Das Wettersystem unterliegt kurzfristigen Schwankungen, die nicht prognostizierbar sind. Das Ziel der Arbeit ist es diese Risiken für die Stromerzeugung früh zu erkennen und sich dagegen zu wappnen.
In der Vergangenheit ließ sich das Stromangebot relativ genau vorhersagen, da es hauptsächlich aus wetterunabhängigen Kraftwerken wie Kohle- und Gaskraftwerken stammte. Doch jetzt, da ein immer größerer Anteil der Energieversorgung aus Solar- und Windkraftanlagen kommt, wird es zunehmend wichtiger, genaue Vorhersagen zu treffen. Ein Beispiel: Die steigende Anzahl von Solaranlagen sorgt bereits heute dafür, dass zu Spitzenzeiten um die Mittagszeit im Frühjahr oder Sommer das Stromangebot im Netz im Vergleich zur Nachfrage stark steigt und Strompreise ins Negative rutschen. Das bedeutet, dass Stromanbieter für die Bereitstellung von Energie bezahlen müssen. Verhindern lassen sich drohende Verluste nur durch eine genaue Wetter- und Preisvorhersage, so dass ein Unternehmen vorher weiß, wann es keinen Wind- oder Solarstrom anbieten sollte. „In einigen Fällen kann es sogar sinnvoll sein unsere Windenergieanlagen abzuschalten, um keine Kosten zu verursachen“, so Rieck.
Zunehmender Bedarf an Daten
Für eine erfolgreiche Vermarktung führt das Team ‚Vorhersage und Optimierung‘ permanent Wetterprognosen, Strommodelle und viele weitere Informationen zusammen – zunehmend auch mithilfe Künstlicher Intelligenz. Für eine hohe Prognosegüte kombiniert das Team die verschiedenen Wetter- und Strommodelle zu einem optimalen Mix. Die zunehmende Abhängigkeit vom Wetter bedeutet, dass der Bedarf an Daten immer weiter steigt. Unternehmen wie Vattenfall, aber auch Energiehändler, sind daher ständig auf der Suche nach bestmöglichen meteorologischen Daten. „Es ist ein riesiger Wettbewerb. Jedes Energieunternehmen versucht, die bestmögliche Vorhersage darüber zu treffen, wie das Wetter und damit die Energieproduktion zu einem bestimmten Zeitpunkt aussehen wird“, sagt der Meteorologe von Vattenfall. Automatisierung spielt dabei eine zentrale Rolle, derartig große Datenmengen können nicht mehr manuell von Menschen ausgewertet werden. Deswegen ist auch das Prognosesystem von Vattenfall stark automatisiert.
Die langfristigen Auswirkungen des Wetters auf den Strommarkt sind für Rieck bereits absehbar. „In Zukunft wird man nicht umhin kommen, mehr Energie zu speichern oder zu regulieren.“ Ziel müsse es sein, die verfügbare Energie immer dort hinzuleiten, wo sie zu einem bestimmten Zeitpunkt am effizientesten aufgehoben sei – im Stromnetz oder zwischengespeichert in einer Großbatterie, einem Pumpspeicherkraftwerk oder als Wasserstoff. Auch Stromverbrauchende sind gefragt, mit Hilfe flexibler Stromtarife ihr Verhalten dem Stromangebot anzupassen. Der Strommarkt werde sich daher künftig auf mehr Flexibilität einstellen müssen – sei es erzeugungsseitig oder nachfrageseitig etwa über Smart Meter oder dynamische Stromtarife.
Ihr Ansprechpartner für weitere Informationen:
Dr. Christian Jekat
Vattenfall GmbH