HKW Klingenberg

Wärmewende konkret: Ein Mitarbeiterportrait

Die Berliner Wärmewende hat viele Gesichter. Steffen Kirsch ist eines davon. Seit mehr als 30 Jahren gehört der Logistiker zur Betriebsmannschaft des Heizkraftwerks Klingenberg, die Anlage und ihre Geschichte gehören fest zu seinem Leben. Doch das Ende der Braunkohle am Standort stellt ihn vor neue berufliche Herausforderungen: Gemeinsam mit einigen Kollegen wechselt er nach Marzahn, wo aktuell eine hochmoderne Gas- und Dampfturbinen-Anlage entsteht. Was bedeutet dieser Wechsel für ihn?

Als Steffen Kirsch im Jahr 1986, rund drei Jahre vor dem Mauerfall, seine Ausbildung zum Maschinisten begann, befand sich das Heizkraftwerk Klingenberg noch in einem anderen Land: der ehemaligen DDR. An den 9. November 1989 erinnert er sich noch genau und erzählt amüsiert: „Den habe ich tatsächlich verschlafen. Morgens im Radio hieß es plötzlich: Die Mauer ist weg! Das konnten wir gar nicht glauben. Also bin ich wie immer zum Kraftwerk gefahren, um meine Schicht anzutreten – genau wie meine Kollegen. Nicht einer hat gefehlt. Erst nach ein paar Tagen, als wir sicher sein konnten, dass man hinter uns die Grenze nicht wieder dicht macht, haben wir angefangen, nachmittags nach der Arbeit vorsichtig den Westen der Stadt zu erkunden. Eine verrückte Zeit."

Ein sportlicher Start in den Tag

Das Heizkraftwerk Klingenberg in Berlin-Lichtenberg

Seinen Tag beginnt Steffen Kirsch auch heute noch vor Sonnenaufgang, denn er ist ein leidenschaftlicher Frühaufsteher. Um Punkt halb fünf klingelt sein Wecker. Dann trinkt er eine Tasse Kaffee und schwingt sich auf sein Rad. Seit 31 Jahren fährt der Logistiker dieselbe Strecke, zehn Kilometer aus Köpenick zum Heizkraftwerk Klingenberg, zehn Kilometer zurück. „Das ist mein tägliches Sportpensum, damit halte ich mich fit.“ Dieses Pensum wird sich bald sogar noch erhöhen.

Brennstoff- und Standortwechsel

Der nun leere Kohlelagerplatz

Denn Steffen Kirsch gehört zu den Mitarbeitern am Standort Klingenberg, die nicht nur eine neue Aufgabe, sondern auch einen neuen Arbeitsplatz erhalten. Durch den Brennstoffwechsel von Braunkohle zu Gas im HKW Klingenberg werden weniger Kollegen direkt vor Ort benötigt. Zukünftig arbeitet er daher am Standort Marzahn. Dort entsteht eine hochmoderne Gas- und Dampfturbinenanlage mit eigener Betriebsmannschaft. Die neue Anlage wird in Kombination mit Klingenberg den Berliner Osten mit Fernwärme versorgen. Mitte Juni erfolgte der Spatenstich – fast zeitgleich mit der Abschaltung der Braunkohleanlage in Klingenberg.

Übergangsbetrieb mal anders

Einen Tag in der Woche ist Steffen Kirsch bereits an seinem neuen Arbeitsplatz, um sich einzuarbeiten. Die restliche Zeit wickelt er seinen alten Bereich ab. „Ich befinde mich sozusagen gerade im ‚Übergangsbetrieb‘. Erst, wenn alle Anlagenteile, die künftig nicht mehr benötigt werden, gereinigt und die Abfälle fachgerecht entsorgt sind, wechsele ich ganz nach Marzahn.“ Das wird vermutlich Anfang 2018 der Fall sein. Ob er sich darauf freut? „Natürlich! Wann hat man sonst die Gelegenheit, den Neubau einer der modernsten Gas- und Dampfturbinenanlagen von der Grundsteinlegung bis zur Inbetriebnahme mitzuerleben?“

Abfallentsorgung mit Fingerspitzengefühl

In Klingenberg war Steffen Kirsch im Bereich Logistik für die Ver- und Entsorgung zuständig. Was bedeutete das für seinen Arbeitsalltag? „In erster Linie die Pflege und Wartung der Anlagenteile, die Abfallentsorgung, Bestellung von Chemikalien und der Verkauf beziehungsweise die Verladung von Schwefeldioxid, einem in großen Mengen hochgiftigen Abfallprodukt, das bei der Braunkohleverbrennung entsteht. Da waren bei der Verladung Fingerspitzengefühl und große Sorgfalt gefragt. Ohne Atemmasken lief dabei nichts."

Silvester mit Schutzanzug und Atemmaske

Ist denn in den 31 Jahren wirklich immer alles rund gelaufen? „Natürlich nicht! Wo läuft schon immer alles rund?" An ein Erlebnis erinnert sich der 47-Jährige noch genau. „Das war Silvester 2003. Da konnte ein Waggon mit 56 Tonnen ätzendem Schwefeldioxid nicht mehr von der Rohrleitung getrennt werden. Die Ventile des Kesselwagens schlossen nicht dicht. Das war bis dahin noch nie vorgekommen. Ausgerüstet mit Druckluft-Atemgeräten und Schutzanzügen haben wir mit einem Team von Experten den Waggon über Stunden repariert und wieder auf die Schiene geschickt. Alles ist gut gegangen, niemand kam zu Schaden, und wir konnten sogar noch zuhause mit unseren Familien Silvester feiern", erzählt Steffen Kirsch.

Neue Herausforderungen kündigen sich an

Neben der Ver- und Entsorgung fiel auch die Brennstoffbestellung der Braunkohle in den Bereich von Steffen Kirsch. Bei Gas ist das nun jedoch anders. Erdgas wird am Markt gehandelt und kommt per Leitung aus West- und Osteuropa direkt zu den Standorten. „Da muss nichts bestellt werden", sagt Steffen Kirsch. „Da wird nach Verbrauch abgerechnet." Grundsätzlich wird er auch in Marzahn als Logistiker vor allem Fremdfirmen betreuen, die sich um die Abfallentsorgung kümmern. Aber es werden andere Produkte mit neuen Herausforderungen sein. Für seine Aufgabe als Facility Manager hat Steffen Kirsch bereits verschiedene Weiterbildungen besucht, insbesondere im IT-Bereich. „Marzahn wird ja eine hochmoderne Anlage sein, da sind zusätzliche Kenntnisse gefragt.“

Ein wenig Wehmut gehört dazu

Trotz aller Vorfreude auf die neuen Aufgaben, die ihn in Marzahn erwarten, schwingt natürlich auch etwas Wehmut mit. „Ich habe immer gern in Klingenberg gearbeitet, alle Veränderungen, die im Laufe von mehr als 30 Jahren zwangsläufig dazu gehörten, habe ich als Schritt in die richtige Richtung empfunden. Auch den Ausstieg aus der Braunkohle. Wer mich danach fragt, dem sage ich offen, dass ich mich über die Umstellung von Kohle auf Gas freue. Das ist nicht nur politisch gewünscht, sondern einfach der nächste logische Schritt für unser Unternehmen.“

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