„AZURo“ in Aktion: Erste Rückbauarbeiten im Kernkraftwerk Brunsbüttel
Der Rückbau des Kernkraftwerks Brunsbüttel hat begonnen. Von außen nicht wahrnehmbar, wird im Inneren der Anlage ihr Herzstück - die Einbauten des Reaktordruckbehälters - zerlegt.
Lange haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kernkraftwerks Brunsbüttel auf diesen Tag hingearbeitet: Ende August erfolgte der erste Schnitt an einem Einbauteil des Reaktordruckbehälters (RDB). Viele vorbereitende Arbeiten und Planungen waren erforderlich, bis es soweit war. Die erste Stilllegungs- und Abbaugenehmigung, die das Kraftwerk im Dezember 2018 erhalten hatte, war die Grundlage für die Zustimmung der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde in Kiel für den Abbau der Einbauten im Reaktordruckbehälter.
Nun bewegt sich ein Roboter langsam und präzise unter Wasser und zerteilt mit einem Strahl aus Wasser und Sand zentimeterdicken Stahl. Wandstärken bis zu 20 Zentimeter können mit dem Strahl geschnitten werden. „AZURo“ hat die ausführende Firma den Roboter getauft. Der Name steht für „Automatische Zerlegung von RDB-Einbauten mittels Unterwasser-Robotertechnik“.
Das erste Objekt für AZURo ist der Dampftrockner. Er war an oberster Position im RDB eingebaut und hatte die Aufgabe, den Dampf zu trocknen, d.h. er fing die im Dampf befindlichen Wassertropfen ab, damit diese nicht zur Turbine gelangen und die Turbinenschaufeln beschädigen konnten. Jetzt liegt der 5 Meter hohe und 33 Tonnen schwere Dampftrockner im mit Wasser gefüllten Flutraum oberhalb des Reaktors und wird hier in Einzelteile zerlegt.
Alle Arbeiten erfolgen fernhantiert unter Wasser, um das Personal zu schützen. „Wasser schirmt Strahlung effizient ab. Einbauten im Reaktordruckbehälter sind durch Neutronenstrahlung aktiviert worden, d. h. es haben sich im Material radioaktive Nuklide gebildet, die nicht durch Dekontamination entfernt werden können. Daher ist ein Schutz vor der Strahlung erforderlich. Durch das Arbeiten unter Wasser ist er gewährleistet“, erklärt Dr. Ingo Neuhaus, technischer Geschäftsführer des Kraftwerks und für den Abbau verantwortlich.
AZURo schneidet die Einbauteile nicht wahllos in Stücke; seine Schnitte sind genau geplant und berechnet. Um möglichst keinen Raum in den für die Endlager zugelassenen sog. Konrad-Containern ungenutzt zu lassen, müssen die einzelnen Teile präzise in die Behälter passen. Der vorhandene Stauraum wird so optimal wie möglich genutzt; denn der Platz im ehemaligen Erzbergwerk Schacht Konrad, das für die Endlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle vorbereitet wird, ist begrenzt. Dieses Endlager soll ab 2027 zur Verfügung stehen. Da für die insgesamt anfallenden schwach- und mittelradioaktiven Abfälle auf dem Gelände mit seinen bestehenden Gebäuden nicht ausreichend Lagerkapazität zur Verfügung steht, wird am Standort Brunsbüttel das sogenannte LasmA, das Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle, errichtet. Dieses soll im letzten Quartal 2020 in Betrieb gehen und wird ab dann auch die mit den zerlegten Einbauten des Reaktordruckbehälters beladenen Container bis zu deren Abtransport zum Bundesendlager aufnehmen.
Kraftwerksleiter Markus Willicks ist mit der Arbeit des Roboters zufrieden: „Wie in jedem Projekt, in dem man Neuland betritt, zeigen sich am Anfang ein paar Kinderkrankheiten. Diese sind jetzt überwunden und der Roboter arbeitet wie geplant. Dabei geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern um Sicherheit.“
Durchgeführt werden die Arbeiten nicht von Kraftwerksmitarbeitern, sondern von Spezialfirmen. Mit dem Abbau der RDB-Einbauten wurde ein Konsortium der Firmen Orano und EWN (Entsorgungswerk für Nuklearanlagen) beauftragt. Zurzeit arbeiten 15 Mitarbeiter der beiden Firmen vor Ort im Zwei-Schicht-Betrieb. Sie haben schon in anderen Kernkraftwerken Erfahrungen gesammelt. Die Arbeiten mit AZURo sind aber auch für sie etwas Neues. Sein Einsatz für Schneidearbeiten unter Wasser ist weltweit einzigartig. „Der Roboter ist gelenkig wie ein menschlicher Arm. Wir können damit alle Stellen erreichen und sparen dadurch eine Reihe von Spezialwerkzeugen, die wir ohne die Fähigkeiten dieses Roboters benötigt hätten,“ erläutert Ingo Neuhaus. „Er arbeitet aber nicht vollautomatisiert. Jeder einzelne Schritt wird vom Personal freigegeben.“
Für jedes einzelne Teil wird genau dokumentiert, was es ist und in welchem Konrad-Container es an welcher Stelle verpackt ist. „Allein der Dampftrockner wird in mehrere hundert Teile zerlegt“, sagt Markus Willicks. Danach warten weitere RDB-Einbauten auf die passgenaue Zerlegung. Zu ihnen gehören die Steuerstabführungsrohre, der Speisewasserverteiler, der Dampf-Wasser-Abscheider und Bauteile der Zwangsumwälzpumpen.
Von der gesamten Abbaumasse des KKB von etwa 300.000 Tonnen sind nur 2-3 Prozent radioaktiver Abfall. Mit dem Verladen der genutzten Brennelemente in Castor-Behälter und ihrem Transport in das Standortzwischenlager hat bereits mehr als 99 Prozent des radioaktiven Inventars das Kraftwerk verlassen. Das restliche Hundertstel befindet sich ganz überwiegend im RDB und seinen Einbauten. Daher wird dieser Teil des Kraftwerks auch zuerst abgebaut. Es wird also von innen nach außen gearbeitet. Anfang 2021 soll der Abbau der Einbauten abgeschlossen sein. Mit dem Abbau des RDB selbst soll Ende 2021 begonnen werden. Dafür ist eine weitere Abbaugenehmigung erforderlich. Der Antrag wird zurzeit vorbereitet.
Bis ein sichtbarer Abbau der Gebäude erfolgen kann, werden also noch einige Jahre vergehen. Insgesamt wird der Rückbau etwa 15 Jahre in Anspruch nehmen. Wo heute noch das Kraftwerk steht, wird in den 2030er Jahren wieder eine grüne Wiese wachsen.
→ Spezialsäge beim Rückbau KKB im Einsatz
→ Wie funktioniert der Rückbau eines Kernkraftwerkes?