KKW Krümmel

Warum verklagt Vattenfall Deutschland?

Als Betroffene von der deutschen Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernenergie fordert Vattenfall vom deutschen Staat eine Entschädigung über ausbleibende Einnahmen aus den abzuschaltenden Kernkraftwerken. Die Entscheidung trifft das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten in Washington, das seit Oktober 2016 hierüber tagt. Anne Gynnerstedt,  Leiterin des Rechtsbereiches von Vattenfall, erläutert die Hintergründe der Klage.

Kurz nach dem japanischen Reaktorunfall in Fukushima am 11. März 2011 beschloss Deutschland, seine Kernkraftwerke bis 2022 auslaufen zu lassen und die Vattenfall Kraftwerke Krümmel und Brunsbüttel sofort abzuschalten.

„Vattenfall stellt die deutsche Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernenergie in keinster Weise in Frage. Wir bestehen jedoch darauf, für den finanziellen Verlust entschädigt zu werden, der durch diese Entscheidung entsteht. Auf der Grundlage des Vertrags über die Energiecharta nutzen wir einen Rechtsrahmen, der genau für solche Fälle geschaffen und von 52 Ländern, darunter Schweden und Deutschland, vereinbart wurde, um ausländischen Investoren Sicherheit zu verschaffen", erläutert die Leiterin des Rechtsbereiches bei Vattenfall Anne Gynnerstedt.

2012 reichte Vattenfall vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland ein.

„Als ausländischer Investor hat Vattenfall keine andere Möglichkeit gesehen, angehört zu werden", betont Gynnerstedt.



Warum sollte ein Unternehmen wie Vattenfall einen Staat für die Folgen einer demokratisch getroffenen Entscheidung verklagen?

„Wir akzeptieren voll und ganz die deutsche Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernenergie. Wenn jedoch Deutschland eine Neuausrichtung seiner Energiepolitik beschließt, sollten ausländische Investoren nicht den Preis für eine solche Entscheidung und ihre unmittelbaren Folgen zahlen müssen. Ziel des Vertrags über die Energiecharta ist die Förderung einer langfristigen Kooperation auf dem Energiesektor. Das setzt voraus, dass die Vertragsstaaten die grundlegenden Rechtsprinzipien achten. Aus diesem Grund wurden Mechanismen zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten in den Vertrag einbezogen, um Unternehmen die Sicherheit zu bieten, größere Investitionen tätigen zu können, ohne dabei politische Risiken tragen zu müssen. Ohne diesen Schutz könnte man von keinem Unternehmen erwarten, größere langfristige Investitionen über nationale Grenzen hinweg zu tätigen, was kontraproduktiv wäre.“ 

Hat es in der Vergangenheit ähnliche Klagen gegeben?

„Eine ganz ähnliche Situation gab es 1997 in Schweden, als die schwedische Regierung beschloss, das Kernkraftwerk Barsebäck stillzulegen. Damals hat Schweden die deutschen Eigentümer für die vorzeitige Stilllegung entschädigt. Die deutsche Regierung dagegen hat bislang nicht in gleicher Weise beabsichtigt, Vattenfall zu entschädigen, obwohl das in ausländischem Eigentum befindliche Kernkraftwerk, das aufgrund der schwedischen Entscheidung stillgelegt wurde, erheblich älter war als mehrere der in Deutschland stillgelegten Vattenfall Reaktoren.“ 

Wie ist es aus ethischer Sicht zu bewerten, wenn ein gewinnorientiertes Unternehmen wie Vattenfall eine Entschädigung von einem Staat fordert?

„Bei Investitionen im Energiesektor geht es immer um viel Geld und die Notwendigkeit langfristiger Planung. Deshalb gibt es auch eine spezielle Handelscharta eigens für diesen Sektor. Wenn ein ausländisches Unternehmen hohe Investitionen in einer ressourcenintensiven Industrie wie der Kernenergie unter der Voraussetzung getätigt hat, dass dieser Energieträger Teil des Energiesystems sein wird, sollte das Unternehmen nicht die Folgen einer plötzlichen politischen Veränderung zu tragen haben. Vielmehr sollte der ausländische Staat, der die Entscheidung trifft und die weitere Entwicklung kontrolliert, die Konsequenzen tragen. Diese Auffassung hat auch der deutsche Staat mit der Unterzeichnung der Handelscharta geteilt.“ 

Außerdem hebt Anne Gynnerstedt hervor, die Klage sei aus der Sicht einer der größten Industrienationen weit mehr Tagesgeschäft als ein politischer Skandal. „Deutschland hat mehr als einhundert Investorschutzabkommen mit anderen Ländern unterzeichnet. Deutsche Unternehmen, einschließlich kleiner und mittlerer Unternehmen sowie deutscher Stadtwerke, nutzen regelmäßig Investorschutzabkommen. Beispielsweise haben sowohl die Stadtwerke München als auch die Essener Steag, dessen Eigentümer das Stadtwerke-Konsortium Rhein-Ruhr ist, vor kurzem Klagen beim ICSID gegen Spanien aufgrund von Gesetzesänderungen eingereicht, die sich negativ auf ihre Investitionen in erneuerbare Energien auswirkten.“

„Wenn wir einen hohen Verlust erleiden und davon überzeugt sind, dass wir einen Anspruch auf Entschädigung haben, wäre es unverantwortlich von uns, nicht zu versuchen, diese Entschädigung zu erhalten. Das hat nichts mit der generellen Einstellung zur Kernenergie zu tun.“ 

Es wurde auch behauptet, Vattenfall sei gegen die Erzeugung von erneuerbarer Energie und habe Deutschland deshalb verklagt.

„Diese Behauptung scheitert schon daran, dass sie in sich selbst unlogisch ist. Erneuerbare Energie ist Vattenfalls künftige Kernaktivität, nicht zuletzt in Deutschland. Vattenfall wird in den nächsten vier Jahren Milliarden in Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien investieren, vor allem in Windenergie.“

TEXT: Ralf Bagner


Lesen Sie mehr

ICSID - International Centre for Settlement of Investment Disputes (Englisch)
Den Energy Charter Treaty (Englisch)
    

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