Fledermäuse mit Sender auf dem Rücken

Fledermäuse und digitaler Datenfang

Im Heizkraftwerk Klingenberg wird eine Studie zum Sozialverhalten großstädtischer Fledermäuse durchgeführt. Fledermäuse sehen mit den Ohren, fliegen wie Vögel, haben Fell statt Federn und säugen ihre Jungtiere – sie sind außergewöhnliche und geheimnisvolle Tiere. Für die einen sind sie faszinierend, andere finden sie gruselig. Doch egal, ob man sie mag oder nicht, über das Leben und Agieren der nächtlichen Jäger ist nur wenig bekannt. Das wollen Wissenschaftler des Berliner Naturkundemuseums ändern.

Auf Empfang in der Königsheide

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Linus Günther und Studentin Hannah werten in der Königsheide Daten aus. Foto: Bärbel Arlt

Antenne, Empfänger, Batterie – interessiert bleiben Spaziergänger im Waldgebiet Königsheide im Berliner Stadtbezirk Treptow-Köpenick vor den Modulen stehen. Sie staunen über das, was sie da lesen: „Das ist eine Empfängerstation für das Sozialverhalten von Fledermäusen.“ Linus Günther vom Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, besser bekannt als Museum für Naturkunde, freut sich über das Interesse. „Ja, die Passanten sind oft verwundert und stellen auch mal die eine oder andere Frage zu diesem Forschungsprojekt“.

Fledermäuse auf nächtlicher Jagd

Linus Günther gehört zu einer Forschergruppe von Biologen, Ingenieuren und Informatikern, die den Geheimnissen frei fliegender Fledermäuse auf den Grund geht. In den Sommermonaten ist der Biologiedoktorand täglich in der Königsheide unterwegs, um Daten zu erfassen, die von einem Beobachtungssystem über das Verhalten der nachtaktiven und bedrohten Tiere gesammelt werden.

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Die „nachtaktiven“ Forscher richten sich nach ihren Forschungsobjekten, Simon Ripperger und Linus Günther (v. l.) Foto: Naturkundemuseum Berlin/Simon Ripperger

Für ihn und seinen Kollegen Simon Ripperger sind Fledermäuse die sozialsten Tiere der Welt. Doch wie funktioniert dieses soziale Netzwerk? Noch geben die nächtlichen Jäger den Wissenschaftlern Rätsel auf, obwohl es sie schon seit Millionen von Jahren gibt. „Bis heute weiß man kaum, wie und wie lange sie jagen, mit wem sie nachts unterwegs sind, welche Flugbahnen sie nutzen, wie sie sich erkennen, wie sie Freundschaften pflegen, wie das Verhältnis zwischen Mutter und Jungtieren ist, wie eng sie familiär verbunden sind.

Auf der Suche nach Antworten

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Beobachtungssystem zur Erforschung von Fledermäusen, Foto: Naturkundemuseum Berlin/Linus Günther

„Um Antworten auf die vielen Fragen zu bekommen, hat das Forscherteam ein automatisches, Funk betriebenes Beobachtungssystem entwickelt“, erzählt Linus Günther, während sich sein Laptop mitten im Wald mit den Modulen verbindet. Und schon prasseln Daten über Daten auf den Bildschirm. „Rund 30.000 sind es“, sagt er. Trotz der gigantischen Fülle kann er gleich eine wichtige Aussage machen: Es handelt sich um Tier 19, das sich in dieser Nacht mit mindestens zwei anderen Fledermäusen, Tier 10 und 16, getroffen hat.

Dann schaut der Biologe in die Runde. Fledermaus 19 ist auch ganz in der Nähe. „Wahrscheinlich hängt sie dort im Baumloch der alten Eiche“, vermutet er. An einer anderen Bodenstation findet er heraus, dass sich dort in der Nacht fünf Fledermäuse versammelt hatten. „Das muss man sich wie ein Meeting vorstellen“, sagt er amüsiert und schiebt wissenschaftlich korrekt nach: „Dank der Daten, die das Beobachtungssystem liefert, können wir Bewegungsmuster der fliegenden Säugetiere nachvollziehen, ihr soziales Netzwerk erkunden und Einblicke in ihre Evolution geben.“

Fledermäuse haben Sensoren huckepack

Den Abendsegler aus seiner Behausung gelockt…Naturkundemuseum Berlin/Simon Ripperger
Für das Erforschen der Fledermaus-Sozialität sind in der Königsheide fünf Bodenstationen aufgestellt und 35 Große Abendsegler mit klitzekleinen Sensoren ausgestattet worden. Sie senden präzise Funksignale an die Module im Wald.

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Der 1,5 Gramm schwere Sensor, der viele Daten liefert, Foto: B. Arlt

Die Sensoren sind etwa so groß wie ein Ein-Cent-Stück, wiegen rund 1,5 Gramm und lösen sich nach etwa vier Wochen automatisch vom Fell des Tieres. Der Große Abendsegler, so erzählt Linus Günther, gehört in unseren Breiten zu den größten Fledermausarten. Er lebt vorrangig in kleinen Gruppen in Wäldern und bevorzugt Baum- und Spechthöhlen. In der Dämmerung geht er auf die Jagd nach Faltern, Mücken, Käfern. Meist jagt er über den Baumwipfeln und erreicht dabei Geschwindigkeiten bis zu 50 Stundenkilometern. Jetzt im Sommer finden sich die Mütter mit ihren Jungtieren in so genannten Wochenstuben zusammen, während die Väter alleine und ab und an mit anderen Männchen sogenannte Bachelorgruppen bilden. Insgesamt gibt es weltweit rund 1.400 Fledermaus-Arten.

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Die Aschesilos des HKW Klingenberg. Auf einem befindet sich die Antenne. Foto: Vattenfall

Aschesilo mit Antenne

Doch neben der Datenerfassung direkt im Wald gibt es noch eine große Antenne in rund 35 Metern Höhe auf dem seit Mai stillgelegten Aschesilo im Heizkraftwerk Klingenberg. „Dieser Standort ist ideal, um das Trackingsystem zu testen und unsere Studie fortführen zu können“, so Biologe und Fledermausforscher Simon Ripperger.

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Die Antenne aus dem Aschesilo des HKW Klingenberg wird mit Energie aus Solarzellen versorgt, Foto: Naturkundemuseum Berlin/Linus Günther

Die Antenne auf dem Aschesilo hat eine Reichweite von zwei Kilometern. Sie soll das Verhalten der Fledermäuse im Plänterwald und in der Königsheide flächendeckend überwachen und ebenfalls Daten liefern. Ob die Antenne zuverlässig ist, ihre Daten mit denen der Bodenstationen im Wald übereinstimmen, werden die Auswertungen der Wissenschaftler in den kommenden Wochen zeigen. Und damit es keinen Datenausfall gibt, wird die rund zwei Meter große und zehn Kilo schwere Antenne mit Energie aus Solarzellen versorgt, die extra für das Projekt auf dem Aschesilo installiert worden sind.

Bereits im vergangenen Jahr war eine Antenne zu Testzwecken dort aufgestellt worden und lieferte dem Forscherteam wichtige Erkenntnisse. So zeigten erste Daten, dass die untersuchten Abendsegler in hochdynamischen Sozialverbänden leben und regelmäßig ihre Gruppenzugehörigkeit wechseln. In diesem Jahr soll dieses Muster noch genauer untersucht werden und anhand genetischer Analysen die Rolle von Verwandtschaft bei der Wahl der Quartierpartner ermittelt werden.

Tierische Mitarbeiter

„Wir unterstützen das Forschungsprojekt auch in diesem Jahr sehr gern wieder“, sagt Andreas Jahnke von der Vattenfall Wärme Berlin. Und er gibt zu, dass sein Interesse für die fliegenden Jäger seitdem gewachsen ist. Als Ingenieur für Nebenanlagen ist er, wie er sagt, zuständig für alles, was nicht Maschine, Wasseraufbereitung, Kessel und Elektro ist – also von der Brandschutzwartung bis zur Garderobe und seit einigen Jahren auch für die Auswahl von Standorten für tierische Mitarbeiter. Denn das Heizkraftwerk Klingenberg beteiligt sich nicht nur an der Erforschung des Lebens von Fledermäusen, die übrigens Meister im Energiesparen sind, sondern sorgt auch für süße Energie. Drei Bienenvölker summen um das Kraftwerksgelände.

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