Vattenfall Deutschland-Chef Tuomo Hatakka rechnet mit einem starken Schub für die Wärmewende durch das Klimapaket der Bundesregierung. Insbesondere die Verlängerung des KWK-Gesetzes und der darin vorgesehene Umstieg von Kohle auf Gas würden die Dekarbonisierung der Fernwärme „definitiv beschleunigen“, sagte er im Interview mit energate. Bei der Gesetzgebung zum Kohleausstieg, warnt er, komme es auf die Details an.
energate: Herr Hatakka, die Bundesregierung strebt das Ziel der Klimaneutralität an. Vattenfall will innerhalb einer Generation "fossilfrei" werden. Kann man sagen, Sie ziehen bei diesem Thema mit der Politik an einem Strang?
Hatakka: Ja, es gibt keinen Widerspruch. Wir sehen heute: Energiewende heißt nicht nur Stromwende, sondern auch Wärmewende, Verkehrswende und Industriewende. Das ist die Basis für unsere strategische Ausrichtung, die das Ziel hat, in einer Generation ein "fossilfreies" Leben zu ermöglichen. Durch das Klimapaket der Bundesregierung sehen wir uns in dieser Strategie bestärkt.
Das klingt nach Lob für das Klimaprogramm der Bundesregierung. Ist das so?
Wir begrüßen das Klimapaket, es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch wenn es an der ein oder anderen Stelle etwas ambitionierter sein könnte.
Vattenfall will seine energiebedingten Emissionen bis 2030 um 38 Prozent senken. Wo stehen Sie und was muss noch passieren?
Wir haben im Jahr 2009 mit dem Land Berlin eine Klimaschutzvereinbarung unterzeichnet, in der wir zugesagt haben, unsere CO2-Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 zu halbieren. Heute können wir sagen: Wir übererfüllen dieses Ziel. 1990 standen wir bei über 13 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr. 2020 werden wir bei 6 Mio. Tonnen sein. Zwei Steinkohlekraftwerke [Anmerkung der Redaktion: ein Steinkohlekraftwerk] haben wir in Berlin bereits stillgelegt, aus der Braunkohleverstromung sind wir auch schon komplett ausgestiegen. Bis 2030 werden weitere Steinkohle-Kraftwerke mit zusammen mehr als 800 MW folgen. Dadurch wird sich unser CO2-Ausstoß auf 3,5 Mio. Tonnen verringern, das sind gegenüber 1990 minus 70 Prozent.
Drei Steinkohlekraftwerke haben Sie in Berlin noch in Betrieb. Wie wollen Sie den Ersatz gestalten?
40 Prozent der wegfallenden Kohlekapazitäten wollen wir durch erneuerbare und andere alternative Energien ersetzen, beispielsweise durch Power-to-Heat, industrielle Abwärme oder Waste-to-Heat. Ich hätte nichts dagegen, wenn wir 100 Prozent durch erneuerbare Energien und andere Alternativen ersetzen könnten, so weit sind wir aber noch nicht. Deshalb brauchen wir Erdgas als Übergangstechnologie.
Inwiefern hilft Ihnen dabei das Klimapaket des Bundes und insbesondere der neue CO2-Preis für Wärme?
Die Fernwärme ist ja bereits vom europäischen Emissionshandel erfasst. Was hier sicherlich einen großen Impuls geben wird, ist die geplante Verlängerung des KWK-Gesetzes und der darin vorgesehene Umstieg von Kohle auf Gas. Das wird die Dekarbonisierung der Fernwärme definitiv beschleunigen. Die neue CO2-Bepreisung wiederum wird sicherlich einen Effekt auf die dezentrale Wärme haben. Der Einstiegspreis von 10 Euro pro Tonne ist zwar gering, er steigt dann aber zügig an. Das und das geplante Verbot von Ölheizungen ab 2026 wird Wirkung zeigen. Ich jedenfalls gehe davon aus, dass wir eine beschleunigte Wärmewende sehen werden und das ist auch gut so.
Sie wollen neben den Erneuerbaren auch Abwärme stärker in die Wärmeversorgung einbinden. Sehen Sie dafür in Berlin noch Potenziale?
Wo wir definitiv Potenzial sehen, ist bei Rechenzentren. Dort fallen große Mengen Abwärme an, die heute vielerorts energetisch ungenutzt bleiben. Das wollen wir ändern.
Heißt das, dass Sie auch in Richtung Niedertemperaturnetze gehen werden, um mehr Wärmequellen integrieren zu können?
Ja. Bisher war Fernwärme ein "Geradeaus-Geschäft". Der Wärmemarkt erlebt aber gerade eine Transformation, künftige Wärmenetze werden anders aussehen. Deshalb wird es bei uns auch keinen Eins-zu-eins-Ersatz von Kohle durch Gas geben. Vielmehr werden wir die heutige Wärmeproduktion durch eine Vielzahl alternativer Technologien ersetzen. Für uns heißt das, dass wir eine neue Rolle als Systemmanager oder Systemintegrator übernehmen werden. Das macht das Geschäft deutlich spannender.
Ein Beispiel dafür ist die neue Power-to-Heat-Anlage am Standort "Reuter", die auch der Integration erneuerbarer Energien aus dem Berliner Umland dient. Läuft die Anlage wirtschaftlich?
An dem Standort betreiben wir seit kurzem die größte Power-to-Heat-Anlage Europas. Wir können noch kein Fazit ziehen. Aber natürlich hoffen wir, dass Power-to-Heat wirtschaftlich sein wird. Für den großflächigen Ausbau müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen und das heißt, der genutzte Strom muss von Letztverbraucherabgaben befreit werden, das ist eine wichtige Voraussetzung.
Was bedeutet die Dekarbonisierung der Wärme für die Endkundenpreise?
Wir haben zusammen mit dem Berliner Senat unter Beteiligung der Stadtgesellschaft eine Machbarkeitsstudie durch einen externen Gutachter erstellen lassen. Die kommt zum Ergebnis, dass die Kosten der Wärmeversorgung um 100 bis 150 Euro pro Jahr und Haushalt steigen werden. Wenn man berücksichtigt, dass sich auch andere Formen der Wärmeversorgung durch die CO2-Bepreisung verteuern, ist das sicherlich ein akzeptables Niveau. Die Fernwärme bleibt für die Kunden wirtschaftlich und ökologisch die beste Variante.
Sie haben Erdgas eingangs als "Übergangstechnologie" bezeichnet. Welche Bedeutung messen Sie Wasserstoff im Wärmemarkt bei?
Wenn man den Wärmemarkt dekarbonisieren will, führt an Wasserstoff kein Weg vorbei - und zwar an grünem Wasserstoff. Erneuerbare Energien müssen dafür die Basis sein. Deshalb ist es wichtig, die Technologieentwicklung jetzt zu beschleunigen. In diesem Punkt sehe ich im Klimaprogramm der Bundesregierung noch Lücken.
Was fehlt Ihnen?
Wenn man grünen Wasserstoff produzieren will, braucht man genügend grünen Strom. Insofern ist es gut, dass die Regierung das Ausbauziel der Offshore-Windkraft anheben und den Ausbaudeckel der Fotovoltaik aufheben will. Bei der Onshore-Windkraft treten wir aber auf der Stelle. Hier muss sich schnell etwas ändern. Außerdem brauchen wir Pilotprojekte. Wir bauen im Berliner Ortsteil Marzahn eine neue Gas- und Dampfturbinen-Anlage und prüfen derzeit, diese mit einer Power-to-Gas-Anlage zu ergänzen. Ziel ist es, in der GuD-Anlage 30 Prozent Wasserstoff mit zu verbrennen. Solche Projekte brauchen wir, damit Wasserstoff wirtschaftlich wird.
Auch andere Industrien schielen auf Wasserstoff als Mittel zur CO2-Reduktion. Glauben Sie, dass Wasserstoff überhaupt den Weg in den Wärmemarkt finden wird?
Die Sorge einer Knappheit ist berechtigt, die Gefahr sehe ich durchaus. Deshalb brauchen wir möglichst viel erneuerbaren Strom als Brennstoff für Power-to-Gas.
Kommen wir von der Wärme zum Strom: Die Bundesregierung hat viele Monate nach dem Ende der Kohlekommission noch immer kein konkretes Gesetz zum Kohleausstieg vorgelegt. Wie bewerten Sie dies?
Ich denke, alle wollen Klarheit und das so schnell wie möglich. Andererseits ist der Kohleausstieg eine äußerst komplexe Angelegenheit. Gerade in der Lausitz, wo unsere früheren Kraftwerke stehen, gibt es eine große soziale Herausforderung. Aus diesem Grund habe ich auch Verständnis dafür, dass die Gesetzgebung Zeit braucht. Bei allem, was ich höre, wird aber intensiv daran gearbeitet. Der Kohleausstieg kommt und das ist auch gut so.
Für Steinkohleanlagen wie in Moorburg sollen die Abschaltungen über Ausschreibungen erfolgen. Ist das der richtige Weg?
Man muss einen Anreiz für die Stilllegung vorhandener Kapazitäten schaffen. Ein Ausschreibungsmodell ist ein gangbarer Weg. Darin sind wir uns mit der Politik einig. Der Teufel steckt aber im Detail. Der Höchstpreis muss hoch genug sein, sonst gibt es keinen Anreiz, Anlagen freiwillig stillzulegen. Vorgesehen ist eine Preisdegression. Das dient der Sache nicht. Wenn das so bleibt, wird die Stilllegung von Steinkohleanlagen ab Mitte der 2020er Jahre sicherlich nicht mehr sonderlich attraktiv sein. Also kurzum: Was ich bisher gehört habe, ist noch nicht sonderlich überzeugend.
Die Bundesregierung behält sich allerdings vor, für den Fall, dass die Ausschreibungsziele nicht erfüllt werden, auch gesetzlich abzuschalten.
Wir hoffen natürlich, dass es nicht zu solchen Entscheidungen kommt. Denn die sind weder im Sinne der Bundesregierung noch in dem der Betreiber - und sie können auch nicht im Sinne Deutschlands als Exportnation sein. Willkürliche Eingriffe in das Eigentum von Unternehmen passen dazu nach meiner Auffassung nicht. Das haben wir bei der Abschaltung der Kernkraftwerke ja schon deutlich gemacht.
Auch im Netzbereich fielen die Entscheidungen der öffentlichen Hand in der Vergangenheit häufig nicht zu Ihren Gunsten aus. Welche Rolle spielt das Netzgeschäft in der weiteren Strategie Vattenfalls noch?
Netze sind unser Kerngeschäft und das wird auch so bleiben. Das Land Berlin hat sich bei der Vergabe der Stromnetzkonzession nicht für uns entschieden, das lassen wir jetzt juristisch überprüfen und das Berliner Landgericht hat kürzlich in einem Urteil unsere Rechtsauffassung bestätigt. Dessen ungeachtet arbeiten wir mit Hochdruck daran, die Berliner Stromnetze weiterhin für die Energiewende, die wachsende Stadt und die Digitalisierung fit zu machen. Dazu investieren wir jedes Jahr 150 Mio. Euro. Unsere Netze sind hocheffizient, das hat uns auch die Bundesnetzagentur bestätigt.
Der Bund hat den Ausstieg aus der Kernkraft und der Kohle beschlossen. Die Länder Berlin und Hamburg rekommunalisieren die Netze. Alles Bereiche, in denen Sie als Unternehmen hierzulande aktiv waren. Welche Rolle spielt Deutschland in der künftigen Strategie von Vattenfall noch?
Deutschland ist für uns von unverminderter Bedeutung. Vor allem im kundennahen Geschäft mit Strom, Gas, Wärme und bei den erneuerbaren Energien wollen wir weiter wachsen. Wir sehen unsere Aktivitäten im deutschen Markt positiv und untermauern das auch mit dem Bau einer neuen Zentrale in Berlin, die wir im Jahr 2021 beziehen wollen. Und auch in Hamburg werden wir in ein neues modernes Bürogebäude ziehen.
Sie haben die Wachstumspläne im klassischen Geschäft angesprochen. Wo sehen Sie die größten Innovationspotenziale?
Der Kohleausstieg in Berlin ist eine Herausforderung, die wir mit neuen innovativen Technologien meistern werden. Davon bin ich überzeugt. Wir entwickeln uns zum Systemmanager im Wärmemarkt. Wir integrieren die unterschiedlichsten Wärmequellen und dabei spielt natürlich auch die Digitalisierung eine große Rolle. Ein Beispiel: Wir installieren aktuell die ersten Smart Meter in unser Fernwärmenetz. Das erlaubt es uns, unsere Fernwärmesystem intelligent zu steuern. Das machen wir hier in Berlin und wollen damit natürlich auch in andere Märkte gehen. Da ist sehr viel Musik drin.
Herr Hattaka, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führten Christian Seelos und Karsten Wiedemann.
Es ist in zwei Teilen erschienen bei www.energate-messenger.de