KI gibt Aufschluss über Vogelkollisionen an Offshore-Windparks

Wie gefährlich sind Offshore-Windkraftanlagen für Vögel? Diese Frage beschäftigt Forscherinnen und Forscher seit Jahrzehnten. Neue Studien aus den Niederlanden und Großbritannien nutzen nun modernste Technologien – und die Ergebnisse überraschen selbst Experten.

Offshore-Windenergie ist eine der vielversprechendsten Möglichkeiten, den für die Energiewende benötigten fossilfreien Strom zu erzeugen, und im Nordseeraum gibt es große Ausbaupläne. Gleichzeitig wachsen die Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen von Offshore-Windkraftanlagen auf Vogelpopulationen. Während die visuellen Auswirkungen der hoch aufragenden Turbinen offensichtlich sind, sind die unsichtbaren Folgen für Vögel, die durch Offshore-Windparks fliegen, bislang weitgehend Spekulation. Mit KI und anderen fortschrittlichen Technologien könnte nun eine Antwort in greifbare Nähe rücken.

„Wir arbeiten seit 20 Jahren im Bereich Offshore-Windkraftanlagen und führen fast ebenso lange schon Vogelstudien durch“, sagt Jesper Kyed Larsen, Experte für Biowissenschaften bei Vattenfall. „Aber wir konnten die Frage der Kollisionen bisher nicht mit den erforderlichen Beweisen beantworten. Wir konnten nur spekulieren.“

Keine Spuren im Meer

Es ist ein praktisches wie auch wissenschaftliches Problem. Vögel, die auf dem Meer mit Rotorblättern kollidieren, fallen ins Wasser und treiben spurlos davon. Dadurch ist es nahezu unmöglich, zu quantifizieren, welche Folgen Windparks tatsächlich für die Vogelwelt haben. Somit stützten sich Umweltbewertungen bisher immer nur auf fundierte Vermutungen.

Es wurden zahlreiche Studien durchgeführt und viele Erkenntnisse gesammelt, die darauf hindeuten, dass der Vogelschlag möglicherweise ein geringeres Problem ist als befürchtet. In Vattenfalls Windpark Aberdeen Bay wurde bei einer Untersuchung mit Radar und Kameras an den Turbinen während der zweijährigen Laufzeit keine Kollision festgestellt.

„Es gibt eine ganze Reihe von Studien darüber, wie Vögel in Windparks fliegen, und es ist ziemlich offensichtlich, dass sie eine hohe Wahrnehmung haben und generell sehr gut darin sind, ihre Flugrouten so anzupassen, dass sie den Turbinen ausweichen. Die Studie in Aberdeen war vielversprechend, aber im Grunde nicht darauf ausgelegt, Vogelschlag zu erkennen. Wir sind jetzt dabei, unsere Methoden in dieser Hinsicht zu verfeinern“, erklärt Jesper Kyed Larsen.

Vogelflug in drei Dimensionen

Ein erster Schritt auf diesem Weg war ein technischer Test, der in Aberdeen Bay zusammen mit dem norwegischen Unternehmen Spoor durchgeführt wurde. Dieses hat eine bahnbrechende KI-Technologie entwickelt, um die Flugroute von Vögeln in unmittelbarer Nähe von Rotorblättern in 3D zu verfolgen. Betreibern von Windparks würde es damit möglich, das „Mikro-Ausweichverhalten“ zu dokumentieren, also die Fluganpassungen, die Vögel in letzter Sekunde vornehmen, um einen Zusammenstoß mit den Rotorblättern zu vermeiden.

Der Test zur Überprüfung der Technologie und des Konzepts wurde in diesem Frühjahr mit Hilfe von Vogelexperten des British Trust for Ornithology abgeschlossen. In der nächsten Phase werden die Experten von Spoor dem KI-System beibringen, tatsächliche Kollisionen zu analysieren und zu erkennen.

„Es ist ein mühsamer Prozess“, gibt Larsen zu. „Um die Algorithmen so zu trainieren, dass sie abweichende Vogelflugbewegungen aus den vielen Tausenden aufgezeichneten Routen herausfiltern und sicherzustellen, dass keine davon übersehen wird, sind Hunderte von Stunden Bildschirmarbeit durch Vogelexperten erforderlich. Input und Validierung durch Menschen sind der Schlüssel, der KI vertrauenswürdig macht.“

Experten des British Trust for Ornithology halfen bei der Erprobung des KI-Kamerakonzepts im Windpark Aberdeen Bay.

Millionen von Zugvögeln

Die Untersuchungen in Aberdeen Bay konzentrieren sich auf Möwen, Basstölpel und andere Meeresvögel, die zwischen den Windparks leben und dort ihre Nahrung suchen. Im niederländischen Windpark Hollandse Kust Zuid führt Vattenfall eine Studie anderer Art über Zugvögel wie Stare und Finken durch. Zweimal im Jahr ziehen Millionen von Vögeln über die Nordsee oder entlang der Küste, und es wird sich gesorgt, was es für diese Arten bedeutet, wenn entlang der Nordseeküste immer mehr Offshore-Windparks entstehen.

„Meeresvögel sind tagaktiv, aber der Vogelzug, der während einiger Wochen im Frühjahr und Herbst stattfindet, ist hauptsächlich nachts. Deshalb setzen wir in diesem Fall KI in Kombination mit Wärmebildkameras ein. Wir wollen vor allem dokumentieren, wie viele Vögel kolllidieren, und den Zusammenhang zwischen Vogelschlag und Wetter, Intensität des Vogelzugs, Flughöhe usw. verstehen, um dann zu entscheiden, wie sich die Risiken am besten mindern lassen. Eine Möglichkeit der Risikoreduktion besteht darin, die Turbinen im Zeitraum des Vogelzugs einfach abzuschalten, aber dann wollen wir auch sicher sein, dass sich das wirklich auswirkt. Andernfalls geht uns wertvoller fossilfreier Strom völlig unnötig verloren.“

Überraschende Ergebnisse

Die Wärmebildkameras sind hochempfindlich und erkennen alles, was sich in der Luft befindet – von Insekten bis hin zu Flugzeugen. Für diese Studie wurden 16 solcher Kameras an einer der Turbinen im Windpark angebracht. Die in alle horizontalen Richtungen ausgerichteten Kameras sitzen am Turbinenturm unterhalb des Rotors, um alles zu erfassen, was ins Wasser fällt.

In diesem Frühjahr wurde der erste Vogelzug-Zeitraum untersucht. Die vorläufigen Ergebnisse waren auch für Jesper Kyed Larsen überraschend: Während der Spitzenzeit im März wurden nur ein paar Fälle von Vogelschlag festgestellt – und keiner davon in der Nacht, wenn die Vögel zu Tausenden durchziehen.

„Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir uns mit Schlussfolgerungen noch zurückhalten. Die Daten werden weiter analysiert, und da die Studie nur eine Turbine umfasst, ist Vorsicht geboten. Wenn das Ergebnis jedoch auch bei näherem Hinsehen Bestand hat, wäre dies sehr positiv. Und es war ja nicht so, dass die Kameras die Zugvögel nicht erfasst hätten – das taten sie, und zwar in großer Zahl. Es wurde nur kein Absturz ins Meer registriert. Jetzt sind wir gespannt, was wir beim Vogelzug im Herbst feststellen werden, der sehr viel mehr Vögel umfasst.“

Eine weitere Studie über Meeresvögel wird in Zusammenarbeit mit der Universität Oxford durchgeführt. Was über das Sehvermögen von Vögeln bekannt ist, wird hier mit realistischen Computermodellen von in Betrieb befindlichen Turbinen kombiniert. So wird simuliert, wie verschiedene Kombinationen von Farben und Mustern auf den Rotorblättern das Vogelschlagrisiko verringern könnten. Wird die Aufmerksamkeit der Vögel auf die sich bewegenden Rotorblätter gelenkt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Tiere rechtzeitig reagieren, um eine potenziell tödliche Kollision zu verhindern. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor, aber Rotorblätter mit schwarz-rot gestreiften Mustern sehen vielversprechend aus.

Eine Kultur der Offenheit

Jesper Kyed Larsen betont, wie wichtig Transparenz bei dieser Arbeit ist.
„Wir wollen offen und öffentlich darüber sprechen, was wir tun“, sagt er. „Es gibt viele Bedenken, und das zu Recht. Aber jetzt verfügen wir über Instrumente, die uns weg von Spekulationen, hin zu wissenschaftlichen Erkenntnissen führen.“

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