Anna Borg: Warum nicht jetzt, Frau Borg?

CEO Anna Borg erläutert im Interview mit Laura Cwiertnia und Uwe Jean Heuser von DIE ZEIT, wie die Klimawende gelingt – und welche Fehler Deutschland besser vermeidet. 

DIE ZEIT 19/2023

Die Spielregeln: Nur noch 22 Jahre, bis Deutschland klimaneutral sein muss. So steht es im Gesetz. An dieser Stelle wollen wir von Verantwortlichen wissen, was das Land dabei noch aufhält. Sätze mit "wir müssten mal" oder "es sollte" sind verboten, eben alles, was die Probleme beim Klimaschutz in die Zukunft verschiebt.

Anna Borg

Anna Borg, Präsidentin und CEO von Vattenfall

DIE ZEIT: Frau Borg, Sie sind gerade in Berlin. Vor zwei Jahren hat die Berliner Landesregierung das Stromnetz von Ihrem Unternehmen zurückgekauft, jetzt will sie auch noch das Wärmegeschäft wiederhaben. Eine gute Idee?

Anna Borg: Sagen wir so: Ich bin nicht überrascht. Unsere Berliner Wärme-Aktivitäten sind ein sehr gutes Geschäft und ein wichtiges Werkzeug für die Dekarbonisierung der Stadt. Es gibt viele Interessenten, was wir begrüßen. Wir haben allerdings noch nicht entschieden, ob wir verkaufen.

Ein Argument ist, dass die Energiewende leichter gelingt, wenn die Energienetze in staatlicher Hand sind. Sind große internationale Player wie Vattenfall ein Konzept der Vergangenheit?

Nein. Erstens ist Infrastruktur in öffentlicher Hand nicht neu. Zweitens glaube ich nicht, dass es per se für ein kommunales Unternehmen einfacher ist zu dekarbonisieren als für große Unternehmen. Vielfach ist es sogar hilfreich, wenn ein großes Unternehmen wie Vattenfall oder ein anderer finanzstarker Eigentümer am Wandel beteiligt ist.

Berlin könnte so etwa entscheiden, mehr Wind- und Solarstrom ins Netz einzuspeisen, ohne darauf zu warten, dass Vattenfall das macht.

Wir versuchen bereits, die Klimaziele zu erreichen, die EU, Länder und Städte sich gesetzt haben. Da macht es keinen Unterschied, ob wir oder die Stadt am Ruder sind. Der Rahmen ist für alle derselbe.

Vattenfall selbst gehört dem schwedischen Staat. Hat das Vorteile?

Ja, wir sind ein Staatskonzern. Dadurch haben wir einen zuverlässigen Eigentümer und sind nicht abhängig von Schwankungen auf dem Aktienmarkt. So können wir leichter langfristig entscheiden. Abgesehen davon gibt es keinen großen Unterschied zu kommerziellen Unternehmen.

Schweden hat Sie vor zwei Jahren an die Spitze des Unternehmens gesetzt. Sollen Sie Vattenfall in die grüne Ära steuern?

Mein Job ist sicherzustellen, dass Vattenfall effizient ist und die Kunden gute Qualität bekommen. Eines unserer langfristigen Ziele ist es, innerhalb einer Generation ein Leben ohne fossile Brennstoffe zu ermöglichen. Ich bin absolut überzeugt, dass dies auch ökonomisch das Richtige ist, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die CO2-Emissionen haben einen Preis, und der wird steigen, wenn die Klimaziele klarer werden.

Wie viele Jahre sind eine Generation für Sie?

Wir haben uns verpflichtet, im Jahr 2040 in unserer gesamten Wertschöpfungskette klimaneutral zu werden – im Einklang mit den Pariser Klimazielen. Damit leisten wir unseren Beitrag, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Zu Hause basiert Ihr Geschäft zum großen Teil auf Wasserkraft. In Deutschland setzt Vattenfall – zu Deutsch: Wasserfall – aber vor allem auf Gas. Das ist nun nicht gerade ein Zukunftsmodell.

Sie haben recht. Gas ist kein langfristiges Zukunftsmodell. Wir haben auch international einen großen Anteil an klimaneutraler Energie wie Wasser-, Kern- und Windkraft. Aber die Voraussetzungen in den verschiedenen europäischen Ländern sind unterschiedlich. In Deutschland war der erste Schritt, das Kohlegeschäft zu beenden. Der nächste Schritt wird Gas sein. Und was übrigens viele nicht wissen: In Deutschland sind wir seit vielen Jahren einer der größten Erzeuger von sauberem Strom aus Wasserkraft. Immerhin in der Größenordnung von drei großen Kraftwerken.

Glauben Sie noch an die Erzählung von der "Gas-Brücke"? Also dass man viel Erdgas braucht, bis es genügend grünen Wasserstoff gibt?

Ich glaube nicht, dass grüner Wasserstoff für die reine Stromerzeugung genutzt wird, auch nicht mittelfristig. Wasserstoff wird in der Industrieproduktion verwendet werden und in gewissem Maße beim Schwertransport. Aber es ist nicht effizient, erst einmal Strom zu erzeugen, um damit Wasserstoff herzustellen – nur um dann wieder Strom daraus zu erzeugen. Bei der Elektrizität kommt es in Europa in Zukunft auf Wasser-, Onshore- und Offshore-Windkraft an. Und in den Ländern, die sie wollen, auch auf Kernkraft. Bei der Wärmeerzeugung wie in Berlin wird es, bevor auf Wasserstoff umgestellt wird, aber noch eine Weile nicht ohne Gas gehen.

Belügen wir uns in Deutschland selbst? Von Politikern und Konzernchefs kommt oft das Argument, dass wir ruhig neue Gaskraftwerke bauen können, solange sie wasserstofftauglich sind.

Technisch ist es natürlich möglich, mit grünem Wasserstoff nur Strom zu erzeugen – aber eben nicht effizient. Grüner Wasserstoff wird außerdem knapp sein am Anfang, weil jeder ihn für alles Mögliche haben will.

Sie haben gerade sehr diplomatisch gesagt, dass Atomenergie in Ländern, die sie nutzen wollen, zum Energiemix dazugehören wird. Ist es noch so ein Selbstbetrug der Deutschen, dass wir keine Atomenergie brauchen?

Eine Transformation ohne Kernenergie zu schaffen ist möglich. Dann braucht man aber natürlich mehr Wind- und Solarenergie. Und da muss man früh genug investieren, damit keine Lücke entsteht.

Haben die Schweden weniger Angst vor Atomkraft als die Deutschen?

Das Gefühl der Schweden ist, dass alle CO2-freien Quellen gebraucht werden. Wir nutzen zudem Kernkraftwerke und sind in engem Austausch mit Menschen, die dort in der Nähe wohnen. Aber warum die Menschen in Schweden Kernenergie positiver sehen, kann ich Ihnen nicht sagen. Was denken Sie?

Wir wissen es auch nicht. Apropos Wandel: Als Russland die Ukraine im Februar 2022 überfiel, war das ein entscheidender Moment. Europa hätte ihn nutzen können, um radikal auf erneuerbare Energien zu setzen. Warum hat das nicht geklappt? Vielleicht weil große Unternehmen wie Vattenfall Druck auf die Politik gemacht haben, stattdessen Flüssiggasterminals zu bauen – aus Angst um ihr Geschäft?

Als der Krieg in der Ukraine losging, wurde uns allen schmerzlich klar, wie abhängig Europa von fossiler Energie ist. 40 Prozent des europäischen Gases sind mehr oder weniger über Nacht verschwunden. Das ist dramatisch für uns alle. Es ist wichtig, dass jetzt der gesetzliche Rahmen eine Richtung vorgibt, um den Ausbau der Erneuerbaren so schnell wie möglich zu schaffen. Für das Klima, für die geopolitische Unabhängigkeit, aber auch damit Energie bezahlbar bleibt.

Das Gas auf dem Weltmarkt ist inzwischen wieder billiger, doch der deutsche Staat gibt Abermilliarden aus, um die Gasrechnungen zu verringern. Es sieht so aus, als würde die fossile Energie immer gewinnen.

Ich verstehe, dass Politiker ungewöhnliche Maßnahmen ergreifen mussten, um den Menschen zu helfen. Langfristig wird es aber das Problem nicht lösen. Das Einzige, was hilft, ist mehr Stromerzeugung. Die Preise sind nämlich immer noch höher als vor einigen Jahren. Und wir hatten auch Glück, weil wir einen wärmeren Winter hatten in Europa und viel weniger Gas verbraucht haben als in einem normalen Winter. Das hat die Preise sinken lassen. Aber der nächste Winter wird kommen. Dann wird zwar etwas Flüssiggas bei uns ankommen, aber wie viel, das wissen wir nicht. Und auch nicht, wie teuer es wird. Wenn China die Industrieproduktion wieder hochfährt, wird dort der Bedarf an Flüssiggas ebenfalls steigen. Ich bin also noch etwas vorsichtig und sage: Es ist noch nicht vorbei.

Die Energiekonzerne allerdings erzielen hohe Gewinne. Nutzen Sie alle die Lage aus, um besonders hohe Preise zu verlangen?

Wir bieten unseren Kunden in Deutschland sehr wettbewerbsfähige Tarife an. Deshalb sind Hunderttausende während der Krise zu Vattenfall gewechselt. Ich verstehe aber die Herausforderung für viele unserer Kunden. Unser Kundenservice bekommt auch mehr Anrufe in letzter Zeit. Und wir versuchen zu helfen, indem wir Tipps zum Energiesparen geben oder verschiedene Bezahlmodelle anbieten. Aber uns ist wichtig, dass wir den Kunden langfristig gute Preise anbieten können. Das müssen wir beachten, wenn wir unser Angebot machen.

Sie sprechen von Langfristigkeit und Stabilität. Energiekonzerne neigen dazu, den Staat um Subventionen zu bitten, bevor sie etwas wagen. Aber müssen solch profitable Unternehmen nicht auch selbst Risiken eingehen?

Ich spreche natürlich nicht für die gesamte Industrie. Aber ich glaube nicht, dass Subventionen der Weg in eine fossilfreie Stromerzeugung der Zukunft sind. Vattenfall bittet um Investitionssicherheit, also einen stabilen Rahmen. Die Politik sollte einen klaren Weg vorgeben, weil Investitionen in Kraftwerke langfristig sind. Hat man einmal investiert, sind die Werke 30, 40, 60 Jahre im Einsatz.

Vattenfall ist groß in Schweden und Dänemark, Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien. Welcher Markt ist der lukrativste, wenn es um Erneuerbare geht?

Zwei Länder, in denen man recht gut in Erneuerbare investieren kann, sind die Niederlande und Dänemark. In den Niederlanden wurde zum Beispiel Offshore-Windkraft nicht nur zügig genehmigt, sie wird auch gezielt gefördert. Das Land weist Flächen aus, für die ein großer Teil der Genehmigungen schon feststeht. Und die Unternehmen können sich darum bewerben. Besonders gut dabei: Den Zuschlag bekommt nicht automatisch derjenige, der am meisten Geld auf den Tisch legt. Der Staat bewertet die Unternehmen danach, ob sie Projekte gut und schnell realisieren können.

Da Sie überlegen, das Wärmegeschäft in Berlin zu verkaufen: Ist Deutschland nicht mehr attraktiv für Sie?

Wir müssen immer abwägen, welches Geschäft für uns lohnenswert ist. Aber das ändert nichts daran, dass Deutschland eine der größten Volkswirtschaften in Europa ist und ein extrem wichtiger Handelspartner für Schweden. Außerdem gibt es hier einen großen Bedarf an Transformation mit vielen Geschäftschancen, zum Beispiel bei der Windkraft.

Doch hier dauert es mehrere Jahre, bis ein Windpark genehmigt wird. Ist Deutschland da eine Ausnahme?

Überall in Europa ist es schwierig. Worum ich mir in Deutschland Sorgen mache: Es sieht so aus, als würde hier neuerdings vor allem das Geld zählen bei der Frage, wer den Zuschlag für den Bau eines neuen Windparks bekommt. Und nicht, wie in den Niederlanden, die Schnelligkeit und die Qualität, mit der ein Unternehmen ihn bauen kann.

Das Interview führten Laura Cwiertnia und Uwe Jean Heuser vom Ressort GREEN, DIE ZEIT. Es erschien zuerst auf ZEIT ONLINE: Anna Borg: Warum nicht jetzt, Frau Borg? 

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