Martijn Hagens: "Energiepolitik ist Industriepolitik"

Die Energiewende ist Europas Trumpf, um sich eine wettbewerbsfähige Position auf der Weltbühne zu sichern. Doch um diesen Trumpf richtig auszuspielen, braucht es Vertrauen und klare Spielregeln. Alle Akteure – die Industrie, der Energiesektor und die politischen Entscheidungsträger – müssen mit offenen Karten spielen und ihren Beitrag leisten. 

Martijn Hagens

Martijn Hagens, Senior Vice President und Leiter des Geschäftsbereichs „Märkte“ bei Vattenfall

Aktuell steckt Europa in einem Dilemma. Ohne eindeutige Nachfrage aus der Industrie zögert der Energiesektor, massiv in fossilfreie Technologien zu investieren. Gleichzeitig will sich die Industrie nicht festlegen, solange die Versorgung mit stabiler und bezahlbarer fossilfreier Energie nicht gesichert ist. Die Folge: Es gibt keinen Business Case für fossilfreie Projekte und ohne Projekte gerät die Energiewende ins Stocken. Und Stillstand ist teuer, nicht nur finanziell, sondern auch in Form verlorener Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit. 

Dieses Patt, bei dem keiner den ersten Schritt wagt, gefährdet Europas Klimaziele und mit ihnen seine wirtschaftliche Zukunft. Eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Energiesektor und der Industrie ist entscheidend, um unsere Klimaziele zu erreichen und somit die europäische Industrie zukunftssicher zu machen. Denn Energiepolitik ist Industriepolitik. Wir haben durch die Zusammenarbeit mit wichtigen Akteuren aus der Industrie - wie BASF für unseren Offshore-Windpark in den Niederlanden, SSAB und LKAB im Rahmen unserer HYBRIT-Partnerschaft in Schweden oder unsere Strompartnerschaften mit Evonik, Salzgitter, LyondellBasell, PASM Deutsche Telekom und Wieland in Deutschland - bewiesen, dass diese Partnerschaften zwischen dem Energiesektor und der Industrie das Investitionsdilemma lösen und es uns ermöglichen, das Tempo zu halten, das wir brauchen, um unsere EU-weiten Klimaziele zu erreichen und die Energiewende voranzutreiben. 

Viele dieser Partnerschaften zwischen Energie- und Industrieunternehmen basieren auf Stromabnahmeverträgen (Power Purchase Agreements, kurz PPAs). Dabei handelt es sich um langfristige Energie-Lieferverträge, die wettbewerbsfähige Preise mit der Sicherheit verbinden, dass der Strom aus fossilfreien Quellen stammt. Für Energieversorger bieten PPAs planbare Einnahmeströme, verringern das Investitionsrisiko beim Ausbau neuer fossilfreier Kapazitäten und unterstützen den Ausbau von Projekten. Für industrielle Abnehmer bieten PPAs langfristige Preissicherheit, schützen vor Marktschwankungen und helfen, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, indem sie den Zugang zu fossilfreiem Strom sichern. Zudem sorgen PPAs dafür, dass sich Angebot und Nachfrage nach Strom im gleichen Tempo entwickeln und schaffen so ein gesünderes Marktumfeld sowohl für neue als auch für bestehende Erzeugungskapazitäten. 

Hohe anfängliche Investitionskosten im Zusammenhang mit der Elektrifizierung industrieller Prozesse oder Bedenken hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie können ein Hindernis für den weiteren Fortschritt der Elektrifizierung darstellen. In solchen Fällen kann gezielte finanzielle Unterstützung dazu beitragen, Übergangskosten zu überwinden und Industrieunternehmen auf ihrem Weg zur Dekarbonisierung zu unterstützen sowie ihnen den Zugang zu Stromabnahmeverträgen (PPAs) zu ermöglichen. 

Darüber hinaus ist der Abschluss von PPAs für neue Marktteilnehmer und kleinere Unternehmen in energieintensiven Sektoren wie Raffinerien, Stahl oder Zement oft schwierig. Start-ups, Scale-ups und kleine und mittlere Unternehmen verfügen anfangs nicht über die notwendige finanzielle Stärke oder Bonität, um PPAs abzuschließen, obwohl sie für die Wettbewerbsfähigkeit Europas von entscheidender Bedeutung sind. In solchen Fällen können Kreditgarantien eine entscheidende Rolle spielen, um den Zugang zum PPA-Markt zu ermöglichen. Ohne Unterstützung und Risikominderung werden viele Industrieakteure nicht in der Lage sein, an der Energiewende teilzunehmen, was Europas Klima- und Wirtschaftsziele gefährden würde. 

Ebenso ist die transparente Umsetzung bestehender Klima- und Energiepolitik entscheidend, um die Voraussetzungen für einen Markt zu schaffen, auf dem überhaupt erst PPAs abgeschlossen werden können. Wettbewerbsinitiativen im Rahmen des Clean Industrial Deal müssen vollständig in den Green Deal integriert werden. Wir sollten das, worauf wir uns geeinigt haben, nicht erneut infrage stellen, sondern nun die Beschlüsse verwirklichen. Wir müssen erkennen, dass ein fossilfreies Energiesystem nicht nur eine ökologische, sondern auch eine wirtschaftliche Angelegenheit ist. 

Transparenz bei Zielen, wie etwa dem Emissionsreduktionsziel von 90% bis 2040 welches die Europäische Kommission am 1. Juli vorgeschlagen hat, schafft Vertrauen bei Investoren und Unternehmen, damit sie überhaupt erst PPAs abschließen, da so langfristige politische Planungssicherheit gewährleistet wird. Diese Sicherheit ist entscheidend, damit Angebot und Nachfrage im gleichen Tempo wachsen können und so eine wettbewerbsfähige Zukunft für Europa ermöglicht wird. 

Europa verfügt über die Industrie, die Technologie, die Entwickler und, am wichtigsten, die innovativen Köpfe, um bei der Energiewende eine führende Rolle einzunehmen. Die technischen Lösungen sind bereits vorhanden. Was wir jetzt brauchen, ist regulatorische Stabilität, damit Industrie und Energiesektor das nötige Vertrauen für ihre nächsten Schritte gewinnen. Die Chance ist da. Jetzt gilt es, sie richtig zu nutzen. 

Text:
Martijn Hagens

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