Im Interview mit dem Journalisten Nicolas Butylin sprach unser Wärmechef Christian Feuerherd darüber, was die aktuelle Heizungsdiskussion für die Fernwärme bedeutet – etwa mit Blick auf den Netzausbau, Anschlusskosten und die Dekarbonisierung.
Wirtschaftsminister Habeck will, dass wir ab 2024 allmählich von Öl- und Gasheizungen auf Wärmepumpen und Fernwärme umsteigen. Dabei gibt es weder genug Anschlüsse für die Fernwärme, noch ist sie grün genug.
Ganz umgekehrt: Mit nur acht Prozent Anteil erneuerbarer Energien ist die Fernwärme etwa von Vattenfall Wärme, dem Berliner Grundversorger, noch weit entfernt von der sogenannten 65-Prozent-EE-Vorgabe. Wie kann man damit denn die Klimaziele erreichen?
Christian Feuerherd (47) ist Vorstandsvorsitzender der Vattenfall Wärme in Berlin. Wir haben Feuerherd gefragt, was ein Anschluss an die Fernwärme für ein Mehrfamilienhaus gerade kostet und wie die Zukunft von Heizungen in Berlin aussehen wird.
Herr Feuerherd, wie schauen Sie auf die entbrannte Debatte um die Zukunft der Heizungen?
Ich beobachte das mit Sorge. Bei vielen Dingen, die in der Sache richtig sind, hat man kommunikativ viel falsch gemacht. Zunächst war da das Leak vom Referentenentwurf des Wirtschaftsministeriums zum Gebäudeenergiegesetz, der eine stark polarisierende Debatte zur Folge hatte. Das hat der Sache keinen Gefallen getan.
Denn ich glaube, es ist dem Grunde nach wichtig und richtig, bei dem Thema anzufangen, wo wir einen der größten Hebel in der Hand halten, wenn es um die Energiewende geht. Und das ist das Thema Heizen. Ich bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung ihren Beitrag leisten wird, damit die Wärmewende auch sozialverträglich umgesetzt werden kann. Das tut sie heute schon mit vielfältigen Fördermitteln. Leider wurden jedoch in der Diskussion häufig alte Vorbehalte gegen die Wärmepumpe als Technologie rausgeholt.
Die Wärmepumpen werden von den Grünen priorisiert. Werden sie die Fernwärme verdrängen?
Nein. Sie werden die Fernwärme aber wunderbar ergänzen. Es geht vor allem um die Dekarbonisierung der Gebäude in Deutschland. Und da ist die Wärmepumpe genauso eine wichtige Technologie wie die Fernwärme. Insofern hat die Wärmepumpe ihren Platz, allem voran in Ein- und Zweifamilienhäusern sowie in kleineren Mehrfamilienhäusern. Die Fernwärme wird hingegen ihren Raum da haben, wo wir über hochverdichtete Räume sprechen, vor allem in großen Mehrfamilienhäusern. Darüber hinaus werden Großwärmepumpen auch in der Fernwärme eingesetzt, insofern sehe ich auf verschiedenen Ebenen eher ein großes Miteinander.
Die Dekarbonisierung des Gebäudebestandes ist eine der größten Herausforderungen in Berlin. Wie gehen Sie die Aufgabe an?
Zunächst einmal verstehen wir uns als jemand, der eine große Verantwortung für Berlin hat, weil wir 1,4 Millionen Haushalte in Berlin mit Wärme versorgen. Und bei der Art, wie wir Wärme heute erzeugen, auch einen signifikanten CO2-Fußabdruck hinterlassen, den wir deutlich reduzieren werden, bis hin zur Klimaneutralität im Jahr 2040.
Bis 2030 werden wir als Zwischenschritt aus der Kohle aussteigen und 40 Prozent der Wärme aus erneuerbaren Energien oder unvermeidbarer Abwärme bereitstellen, um dann ab 2040 Berlin klimaneutral mit Wärme zu versorgen. Wie kann das gelingen? Die Wärmetransformation ist stark geprägt von den Bedingungen, die man vor Ort vorfindet. Hamburg ist zum Beispiel eine Stadt, in der es viel industrielle Abwärme gibt. In München sind die Bedingungen für Geothermie aus der Erde hervorragend. Berlin ist eine Stadt, die weder für das eine noch für das andere vergleichbar gut geeignet ist. Daher nutzen wir in Berlin Abwärmequellen und geothermische Potenziale. Aber es steht uns eben nicht in dem Umfang zur Verfügung, wie es in anderen Regionen Deutschlands der Fall ist.
Insofern müssen wir mit dem leben und arbeiten, was wir hier vorfinden. Das heißt, wir setzen stark auf die Elektrifizierung des Wärmesektors. Hier werden Großwärmepumpen in industriellem Maßstab sowie große Wasserkocher – sogenannte Power-to-Heat-Anlagen – eine wichtige Rolle spielen. Und selbstverständlich wird auch eine der Schlüsseltechnologien der Fernwärme, die gekoppelte Produktion von Strom und Wärme weiterhin von Bedeutung sein.
Der Brennstoffmix von Vattenfall Wärme besteht aktuell zu 77 Prozent aus Erdgas, zu 15 Prozent aus Steinkohle und zu acht Prozent aus erneuerbaren Quellen. Bis zur 65-Prozent-Vorgabe scheint es noch ein weiter Weg zu sein.
Lassen Sie mich die 65-Prozent-Vorgabe noch mal einordnen. Der Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes sieht diesbezüglich vor, dass jede neue Heizung, die in ein Gebäude eingebaut wird, diesen erneuerbaren Energieanteil mitbringen muss. Alternativ dazu besteht die Möglichkeit zum Anschluss an ein Wärmenetz, wenn dieses einen sogenannten Transformationsplan zur Klimaneutralität aufzeigt. Diesen Transformationsplan entwickeln wir aktuell.
Darin werden wir aufzeigen, wie wir bis zum Jahr 2040 klimaneutral werden und über die Zeitachse die 65 Prozent erreichen. Wichtig ist bei der Fernwärme – und das wird oft vergessen –, wenn Sie Eigentümer eines Gebäudes sind und sich für die Fernwärme entscheiden, dann machen Sie das genau einmal. Sie haben dann in der Folge keinen Re-Investitionsbedarf mehr. Stattdessen liefern wir Ihnen die Wärmewende über eine Hausübergabe-Station im Keller gewissermaßen frei Haus. Es gibt also in dem Gebäude keine Verbrennung mehr.
Viele Menschen beschweren sich über fehlende Anschlüsse für die Fernwärme. Wie schafft man Anschlüsse, vor allem in ländlichen Gebieten?
Das ist eine zentrale Frage. Unser Kunde ist ja nicht der einzelne Mieter, sondern typischerweise ein Wohnungswirtschaftsunternehmen, das Land Berlin oder viele andere genossenschaftlich organisierte Wohnungsbaugesellschaften bis hin zu privaten Gebäudeeigentümern. Wir stellen fest, dass die Nachfrage für unsere Produkte enorm steigt – und zwar um 70 Prozent gegenüber vergleichbaren Jahren. In dem Zusammenhang wollen wir möglichst effizient vorgehen beim Ausbau der Fernwärme.
Beispielsweise gibt es heute schon Gebäude, in denen die Fernwärme in den Straßen vor dem Haus in einem Abstand von 20 bis 50 Metern von einem Anschluss entfernt liegt. Die wollen wir zuerst anschließen. Das nennen wir Verdichtung. Natürlich haben wir auch Erweiterungsprojekte der Fernwärme, so zum Beispiel in Schöneberg, einem Stadtbezirk mit noch vielen Ölheizungen. Wir können natürlich nicht beliebig die Straßen auf- und zumachen. Das heißt, wir müssen zusammen als Stadt, als Gesellschaft und als auch Gebäudeeigentümer einen Weg finden, wie wir möglichst effizient möglichst viele Gebäude so schnell wie möglich an die Fernwärme anschließen können.
Plädieren Sie also für den sektorenübergreifenden Ansatz für die Wärmewende?
Absolut. Und da gibt es in der Politik ein Instrument, das nennt sich kommunale Wärmeplanung. Daran arbeiten wir im Moment gemeinsam mit dem Senat und anderen Infrastrukturunternehmen in Berlin. Denn das ist eines der Ziele: Die Gebiete zu identifizieren, in denen bestimmte Technologien effizient zur Dekarbonisierung der Stadt eingesetzt werden können.
Wunsch nach weniger Bürokratie?
Worauf müssen sich die Berliner preislich in Bezug auf die Fernwärme einstellen?
Der Grund, warum wir all das machen, ist die Dekarbonisierung des Gebäudesektors in Deutschland. Der stößt heute 120 Millionen Tonnen CO2 aus. Bis 2030 muss dieser Wert auf 70 Millionen Tonnen CO2 reduziert werden. Deswegen machen wir Wärmewende. Und dabei gibt es ja zwei Möglichkeiten: Man kann den Gebäudesektor dazu bewegen, alle Dächer zu erneuern, die Fassaden zu isolieren oder Fenster auszutauschen. Oder man überlässt der Wärmeerzeugung diese Aufgabe.
Wir haben dabei ermittelt, dass die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung eine sehr viel kostengünstigere Alternative ist, als den gesamten Gebäudebestand zu sanieren. Das bedeutet zusätzliche Kosten im Wärmesektor, aber auch den größeren Hebel. Mein Ausblick ist dennoch, dass die Wärmepreise in den kommenden Jahren eher stabil bleiben. Wenn wir uns ein mittelgroßes Mehrfamilienhaus vorstellen, mit 40 Parteien, dann kostet ein Anschluss für so ein Gebäude rund 15.000 bis 20.000 Euro. Das ist nicht viel für ein Gebäude, in dem 40 Parteien wohnen.
Welche Entwicklungspotenziale in Bezug auf die Wärmewende sehen Sie bei Vattenfall Berlin?
Große Projekte stehen in Zukunft an, die auch tief in Infrastrukturen eingreifen. Hier würde ich mir beschleunigte Genehmigungsverfahren wünschen, damit diese Projekte zügig umgesetzt werden können. Eine Möglichkeit, die man hier nutzen könnte, ist die sogenannte Genehmigungsfiktion – das sind automatische Genehmigungen nach Ablauf einer bestimmten Frist. Wahrscheinlich ist auch ein zusätzlicher Personalbedarf aufseiten der entsprechenden Behörden, um dem sehr viel größer werdenden Antragsverfahren gerecht zu werden.
Was ich mir auch wünschen würde, ist, dass das Thema Wasserstoff prominent besprochen wird, weil Wasserstoff eine zentrale Rolle im Energiesystem der Zukunft spielen wird – etwa als Energiespeicher, um Strom dann zu liefern, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Heizen und Wohnen sind beides Grundbedürfnisse. Sie sind für jeden Menschen in Berlin zu decken und deswegen spielt das Thema Bezahlbarkeit eine wichtige Rolle.
Schauen Sie sich bei anderen Ländern oder Städten im Umgang mit der Wärmewende etwas ab? Gibt es Vorbilder für Berlin?
Absolut. Es gibt weltweit und hierzulande viele Städte, die eine Vorreiterrolle einnehmen. Flensburg wird zum Beispiel fast vollständig mit Fernwärme versorgt. Auch nach Skandinavien schauen wir. Dänemark hat mit Kopenhagen einen ganz tollen Leuchtturm. Aber man kann auch über den Atlantik schauen, nach Kanada zum Beispiel. Auch dort gibt es Städte mit Vorbildcharakter, die heute schon große Teile der Stadt mit Fernwärme versorgen und eben auch technologisch Vorreiter sind. Mir ist Kopenhagen ans Herz gewachsen. Projekte finden dort in unmittelbarer Nachbarschaft statt.
In Kopenhagen gibt es zum Beispiel eine Abfallverwertungsanlage, die eine Skipiste auf dem Dach hat. Das heißt, man kann im Sommer wie im Winter Ski fahren. Das ist alles in Zusammenarbeit mit der Stadtgesellschaft entstanden. Und ich glaube, das braucht Berlin auch. Offenheit und ein vorurteilsfreies Miteinander. Die Weiterentwicklung einer Stadt heißt eben auch, alle mitzunehmen. Und wenn es auf diesem Weg gelingt, Standorte kreativ gemeinsam zu gestalten, dann glaube ich, dass wir in Berlin eine gute Chance haben, innerstädtische Projekte über die nächsten Jahre erfolgreich zu realisieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte der Journalist Nicolas Butylin für die Berliner Zeitung. Es erschien zuerst online auf berliner-zeitung.de: Was kostet ein Anschluss an Fernwärme in Berlin? Vattenfall-Wärme-Chef im Interview