"Der PPA-Markt ist kein zartes Pflänzchen mehr"
Grüne Energielieferverträge sind bei Gewerbe- und Industrie weiterhin hoch im Kurs. Wie Vattenfall in Deutschland auf dem PPA-Markt agiert, erklärt Christine zu Putlitz, Leiterin Renewables Origination bei Vattenfall, im Interview mit dem energate-messenger.
Unter Europas Betreibern und Projektierern von Wind- und Solarparks zählt Vattenfall inzwischen zu den großen Playern. Wie der schwedische Staatskonzern auch hierzulande auf dem PPA-Markt agiert und welche Rolle der wachsende Ökostromhunger aus Gewerbe- und Industrie dabei spielt, erklärt Christine zu Putlitz, Leiterin Renewables Origination bei Vattenfall, im Interview.
energate: Frau zu Putlitz, sie vermarkten die konzerneigene Ökostromerzeugung bei Vattenfall, wie ist der Konzern in diesem Segment aufgestellt und welche Rolle spielen Corporate Power Purchase Agreements (cPPAs)?
zu Putlitz: Die Vermarktung der konzerneigenen Wind- und Solarparks ist bei Vattenfall nicht regional, sondern funktional organisiert. Das heißt, mein Team und ich im Bereich Renewables Origination kümmern uns um die Vermarktung aller Ökostrom-Assets im Eigenbestand von Vattenfall in Skandinavien, Großbritannien, Deutschland und den Niederlanden. Das Portfolio umfasst derzeit rund 7,3 TWh. Entsprechend der gegenwärtig großen cPPA-Nachfrage spielen Strompartnerschaften eine zentrale Rolle.
energate: Gibt es Ökostrom, den Sie aktuell besonders viel verkaufen und wie sehen die Corporate-PPAs von Vattenfall in Sachen Laufzeiten und Strommengen aus?
zu Putlitz: Aktuell verkaufen wir vor allem sehr viel PV- und Offshore-Windstrom, wobei der Konzern in Schweden auch ein großes Onshore-Windportfolio hat. Derzeit wachsen wir als Vattenfall sehr stark im Erneuerbarensegment. Das bedeutet, unser Vermarktungsfokus liegt ebenfalls stark auf Neuanlagen. Vattenfall beabsichtigt, allein in Deutschland jedes Jahr Solarparks mit einer Leistung von 500 MW und Großbatterien mit einer Kapazität von 300 MW zu bauen. Hinzu kommen 1,6 GW Offshore-Windkraft, die wir ebenfalls hierzulande realisieren und entsprechend vermarkten wollen. Die Stromlieferverträge mit Unternehmen als Offtakern bewegen sich in der Regel in einer Größenordnung zwischen 100 und 800 GWh pro Jahr bei Laufzeiten um die zehn Jahre.
energate: Der Markt galt lang als "zartes Pflänzchen", das sich noch entwickeln muss. Ist das noch der Fall?
zu Putlitz: Nein, der Markt ist kein zartes Pflänzchen mehr. Das gilt seit mindestens drei Jahren. Im Jahr 2021 haben wir uns bei Vattenfall dazu entschieden, die Vermarktung unserer Ökostrom-Assets in der Weise zu funktionalisieren und zu professionalisieren, wie wir es bis heute tun. Eine gute Entscheidung, denn Corporate-PPAs sind inzwischen ein Kerngeschäft für uns.
energate: Wie haben sich die Märkte rund um die Vermarktung von Ökostrom in den vergangenen Jahren verändert - auch und gerade durch die multiplen Krisen und globalen Spannungen?
zu Putlitz: Ich habe 2014 mit der Direktvermarktung erneuerbarer Energie begonnen. Der Markt ist seither vor allem größer und internationaler geworden, ebenso die Laufzeiten und Volumina der Verträge. Die Energiekrise hat den Markt dann nochmals stark verändert. Der Run auf Grünstrom hat nach der Krise nochmals zugenommen, für uns als Projektierer und mit Blick auf unser Neugeschäft.
energate: Über großvolumige PPAs haben jüngst auch Tech-Giganten wie Google oder Amazon den riesigen Strombedarf ihrer Rechenzentren gedeckt. Wer sind die Kunden, mit denen Sie vorrangig PPAs abschließen?
zu Putlitz: Wir machen durchaus auch Geschäfte mit Tech-Unternehmen. Allerdings sind die meisten unserer Corporate-PPA Kunden aus der Industrie. Das ist klassisches, produzierendes Gewerbe. Diese Unternehmen spüren aufgrund ihrer jeweiligen Dekarbonisierungsstrategien zum Teil großen Druck - nicht nur aus Imagegründen und Klimaschutzanstrengungen, sondern auch, um Kosten zu
sparen. Gerade hier in Deutschland arbeiten wir auch mit Mittelständlern und Stadtwerken zusammen.
energate: Die Corporate-PPA-Nachfrage ist allgemein sehr groß. Was treibt die einzelnen Abnehmer, mit welchen Wünschen kommen sie auf Vattenfall zu?
zu Putlitz: Die Nachfrage ist über die gesamte Kundenlandschaft betrachtet in der Tat sehr individuell getrieben. Auffällig dabei ist, dass es sehr häufig um die CO2 -Freistellung des gegenwärtigen Energiebedarfs geht. Das ist speziell in Deutschland der Fall. Wenn man bedenkt, wie viel von zusätzlicher Elektrifizierung die Rede ist, beispielsweise durch grünen Wasserstoff, dann muss ich sagen, Deutschland hinkt gegenwärtig im internationalen Vergleich ein Stück weit hinterher. Gleichwohl sehen wir, dass sich auch hierzulande in Sachen Wasserstoffproduktion langsam einiges bewegt. Ein neues Marktsegment ist im Entstehen und auch die Produktvielfalt wird damit allmählich breiter. Letzteres hat auch damit zu tun, dass Elektrolyseure andere Profile haben als beispielsweise klassische große Versorger.
energate: Der Wasserstoffhochlauf stockt und Industriekonzerne zögern gegenwärtig mit finalen Investitionsentscheidungen. Was bedeutet das für die besagte Entstehung dieses neuen Marktsegments für Offshore-Windstrom?
zu Putlitz: Wasserstoff und Offshore-Windkraft sind wichtige Elemente der Energiewende, Wasserstoff auch gerade als Speicher. Insofern wird es auch für große Player im Offshore-Windkraftgeschäft immer wichtiger, sich mit Wasserstoff zu beschäftigen und Strom nicht nur ins Netz einzuspeisen. In der aktuellen politischen Debatte zum Wasserstoffhochlauf in Deutschland wird zu wenig darüber gesprochen, wie Wasserstoff jenseits von Gaskraftwerken noch sinnvoll nutzbar ist. Die Zurückhaltung vieler Industrieunternehmen hinsichtlich anstehender Investitionsentscheidungen erscheint mir verständlich. Gerade für die energieintensive Industrie ist der internationale Wettbewerb extrem und es geht um riesige Investitionen. Da bedarf es zusätzlicher Förderung, auf die viele noch warten.
energate: PPAs zu Offshore-Windstrom gelten als vergleichsweise teuer, zugleich ist dieser Strom in der Industrie gefragt. Ist es schwieriger, diesen Strom zu vermarkten?
zu Putlitz: Nein, schwieriger zu vermarkten ist Offshore-Windstrom nicht. Dieser Strom ist in der Tat nicht günstig, unter anderem weil die Energiekrise den Bau von Offshore-Windparks spürbar verteuert hat. Gleichzeitig ist Offshore-Windstrom deutlich werthaltiger, weil das Profil in der Erzeugung dem Baseload sehr nahekommt - es gibt grundsätzlich weniger schwankende Erzeugung zwischen den Jahreszeiten oder Tag und Nacht. Insofern gibt es für PPA-Offtaker zwar kostengünstigere Möglichkeiten, grünen Strom zu kaufen. Solche Alternativen, beispielsweise Solarstrom, weisen in der Regel jedoch deutlich weniger Volllaststunden auf. Die Kunden, die sich für Offshore-Windstrom interessieren, wissen das Lastprofil zu schätzen und bringen die entsprechende Zahlungsbereitschaft mit.
energate: Stromlieferverträge sind komplex. Inwiefern bringt die hohe Nachfrage von Industriekunden auch gewisse Standardisierungen in die Vertragsgestaltung?
zu Putlitz: Wir haben ein sehr klares Verständnis davon, welche Risiken wir selbst tragen können und welche wir abgeben oder stärker aufteilen müssen. Dazu hat die Erfahrung aus den zahlreichen Corporate-PPAs, die wir mittlerweile ausgehandelt und abgeschlossen haben, beigetragen. Das schafft eine gewisse Routine in der Vertragsgestaltung. Das gilt zum Teil auch für die Erwartungen, die wir im Markt sehen. Dennoch machen wir keinen Standardvertrieb! Die einzelnen Verträge bleiben hochindividuell und auch komplex. Schließlich kommen die Kunden mit sehr individuellen Bedürfnissen und unterschiedlichen regulatorischen Anforderungen. Dies bildet sich in spezifischen, passgenauen Verträgen ab.
Das Interview führte Philip Akoto, Redakteur beim energate messenger⁺. Der Artikel erschien am 5. Juli 2024: "Der PPA-Markt ist kein zartes Pflänzchen mehr" | energate messenger⁺ (energate-messenger.de).