Von Rotorblättern zu Gebäuden: ein Parkhaus aus stillgelegten Windturbinen
In einem neuen Hightech-Wohn- und Gewerbegebiet im südschwedischen Lund werden die Rotorblätter der Turbinen eines stillgelegten Windparks zum gut sichtbaren Teil der Fassade eines umweltfreundlichen mehrstöckigen Parkhauses.
Solche Rotorblätter sind speziell für die Stromerzeugung ausgelegt und besonders wetterfest, für jahrzehntelange Haltbarkeit, konstruiert. Ähnlich wie im Flugzeugbau kommen dafür Verbundwerkstoffe zum Einsatz. Materialien wie Glasfaser, Carbonfaser, Epoxidharz, Balsaholz, Metalle und verschiedene Füllstoffe werden schichtweise fest zusammengepresst. Das macht die Rotorblätter extrem haltbar, aber schwierig zu recyceln.
Als LKP, die Parkhausgesellschaft der Stadt Lund, ein Parkhaus für das neue Viertel Brunnshög im Nordosten der Stadt in Auftrag gab – dort wird die leistungsstärkste Neutronenquelle der Welt, die Europäische Spallationsquelle gebaut –, kam dem Architekten Jonas Lloyd von Lloyd's arkitektkontor ein Artikel wieder in den Sinn, den er über das Problem der Entsorgung von Rotorblättern auf Deponien gelesen hatte.
„Es ist eine untragbare Verschwendung, wenn etwas, das perfekt funktioniert und aus den wohl besten Materialien der Welt besteht, das quasi unzerstörbar ist, einfach im Boden versenkt wird“, sagt Jonas Lloyd.
Jonas Lloyd, Architekt
Win-Win-Situation für Umwelt und Klima
Er plant stattdessen, Rotorblätter aus Vattenfalls stillgelegtem dänischem Windpark Nørre Økse Sø in der Fassade zu verbauen und damit die Vorhangwände oder nichttragenden Wände, inklusive Begrünung mit bestäuberfreundlichen Pflanzen, zu gestalten. Auf dem Dach werden Solarzellen installiert, und die Batterien speichern den erzeugten Strom für dort abgestellte Fahrzeuge, die normalerweise nachts aufgeladen werden.
Die gesägten Rotorblätter sind perfekt für ein Parkhaus geeignet, da die Wände wegen der Explosions- und Brandgefahr offen sein sollen, erklärt Lloyd und fügt hinzu, dass dieses Konzept gleich einen doppelten Gewinn für Umwelt und Klima bietet.
Der erste Vorteil besteht darin, dass man sich eines sehr großen Objektes – diese Rotorblätter sind 23,5 Meter lang, was im Vergleich zu neueren Varianten, insbesondere für Offshore-Windkraftanlagen, immer noch recht klein ist – auf umweltfreundlichem Weg entledigt. Der zweite Vorteil: Es werden keine anderen, potenziell stark klimaschädigenden Baumaterialien wie Beton oder Stahl benötigt.
Der Entwurf des Architekten macht die Rotorblätter zu einem sichtbaren Teil des Gebäudes.
„Wir wollten etwas schaffen, das man sichtbare Nachhaltigkeit nennt. Etwas wirklich unübersehbar Nachhaltiges. Die Leute werden vorbeigehen und sagen: ,Seht euch das an, hier hat man Windradflügel in der Fassade verbaut‘", sagt Lloyd.
Rotorblätter als Rahmen für Solarzellen, Bauplatten oder Skier
Umwelt- und Nachhaltigkeitsexperte Gustav Frid arbeitet auf der Seite von Vattenfall an dem Projekt, während das dänische Unternehmen Kingo Wind für die Stilllegung und das Recycling der ausgedienten Rotorblätter zuständig ist.
Vattenfall, so berichtet er, hat sich bereits strikt gegen die Entsorgung stillgelegter Rotorblätter auf Deponien entschieden und sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bei den Rotorblättern bis 2025 eine Recyclingquote von 50 Prozent erreichen. Bis 2030 sollen es 100 Prozent sein und die Zeichen hierfür stehen gut.
„Zwar liegt unser Hauptaugenmerk auf dem Recycling, wir verfolgen jedoch auch einen kreislauforientierten Ansatz, der im Einklang mit der Abfallhierarchie verschiedene Strategien umfasst. Selbst wenn ein Produkt aus unserer Sicht das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat, kann es an anderer Stelle, in einer neuen Anwendungsform oder als Material für ein neues Produkt, immer noch wertvoll sein“, sagt Frid.
Die erste Option bei der Stilllegung eines Windparks bestehe immer darin zu prüfen, ob sich die Turbinen als Ganzes anderweitig nutzen lassen, etwa indem man sie verkauft.
Abseits von der Option des Verkaufs laufen bei Vattenfall mehrere Projekte zu Wiederverwendung und Recycling: Rotorblätter werden zu Rahmen für Solarpaneele, zu Flocken für sogenannte extrudierte Bauprodukte wie Balken, zu Isoliermaterial, Bauplatten, oder sogar Skiern verarbeitet.
Wenn keine andere Alternative zur Verfügung steht – einige Märkte sind in Bezug auf Recycling und Wiederverwendung schon weiter als andere –, kann das Unternehmen auf die Option einer Mitverwertung in Zement zurückgreifen. Bei diesem Verfahren werden Materialien wie Kunststoffe und Holz zur Energierückgewinnung verbrannt. Die Glasfasern werden recycelt und statt Sand bei der Zementherstellung verwendet. Carbonfaser, das als Material in neueren Rotorblättern häufiger vorkommt und auch wertvoller ist, wird in der Regel in einem separaten Verfahren recycelt.
„Damit die Industrie wirklich kreislauffähig wird, sind jedoch politische Entscheidungen erforderlich“, sagt Frid.
„Es gibt Herausforderungen, aber auch Chancen beim Recycling von Verbundstoffen, und die Gesetzgebung muss sich weiterentwickeln, damit eine Kreislaufwirtschaft erfolgreich sein kann. Indem wir uns aktiv an Forschungs- und Pilotprojekten beteiligen, können wir testen, lernen und zeigen, was möglich ist. Auf diese Weise bauen wir Wissen auf und unterstützen die Entwicklung hin zu einer stärker kreislauforientierten Gesellschaft“, erklärt er.
Rotorblätter für einfacheres Recycling
Durch die Entscheidung für Rotorblätter, die so konzipiert sind, dass sie sich einfacher recyceln lassen, unterstützen Energieunternehmen die Hersteller von Windturbinen dabei, Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Ein Beispiel ist Vattenfalls neuer Offshore-Windpark Hollandse Kust Zuid in den Niederlanden. Dort kommt ein neuer Typ wiederverwertbarer Rotorblätter zum Einsatz, wenn auch aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit nur an einem Teil der Turbinen.
Es gibt inzwischen auch Verfahren zur Demontage und zum Recycling älterer Rotorblätter, die kurz vor der flächendeckenden Umsetzung stehen.
„Wir brauchen gegebenenfalls viele verschiedene Lösungen, denn es werden riesige Mengen an Material anfallen. Langfristig wird sich vielleicht herausstellen, dass dieser oder jener Weg der in jeder Hinsicht beste ist. Aber zunächst werden wir viele verschiedene Technologien brauchen“, sagt Frid.
Beim Parkhaus in Lund können die Rotorblätter nicht in ihrer vollen Länge genutzt werden. In Bezug auf den nicht genutzten Teil – den dickeren Abschnitt, der an der Rotornabe sitzt – laufen derzeit Gespräche mit der schwedischen Verkehrsbehörde für den Einsatz als Lärmschutzwand an Autobahnen oder Eisenbahnstrecken.
Der Architekt Jonas Lloyd hofft, dass die Rotorblätter der Windturbinen für Projekte wie das derzeit ruhende Vorhaben eines Hochgeschwindigkeitszugs zwischen den drei größten schwedischen Städten Stockholm, Göteborg und Malmö genutzt werden können.
„Wenn solche Großprojekte, die über endlos lange Strecken Lärmschutzwände benötigen, auf den Weg gebracht werden, können wir wahrscheinlich die Rotorblätter aller Windturbinen in Europa einsetzen, die stillgelegt werden sollen“, erklärt er.