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Darum verklagt Vattenfall Deutschland

Der Beschluss von Vattenfall, Deutschland zu verklagen, hat großes Aufsehen erregt. Anne Gynnerstedt, Leiterin der Rechtsabteilung von Vattenfall, erläutert den Standpunkt des Unternehmens.

Worum geht es?

Kurz nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima am 11. März 2011 hat Deutschland den Beschluss zum beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie gefasst. Dieser Entscheidung folgte der Entzug der Betriebserlaubnis der von Vattenfall betriebenen Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel.

Vattenfall hat daraufhin Klage gegen die deutsche Bundesregierung beim Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten in Washington (International Centre for Settlement of Investment Disputes, ICSID) eingereicht. „Vattenfall sieht keine andere Möglichkeit, eine Entschädigung zu erhalten“, erklärt Anne Gynnerstedt.

Ähnlicher Fall in Schweden, anderer Verlauf

Gynnerstedt weist darauf hin, dass es im Jahr 1997 eine ähnliche Situation in Schweden gab als die schwedische Regierung beschloss, das Kernkraftwerk Barsebäck still zu legen. Für die vorzeitige Stilllegung wurden die deutschen Eigentümer von der schwedischen Regierung entschädigt. „Die deutsche Regierung hat Vattenfall kein vergleichbares Angebot gemacht“, so Gynnerstedt. Sie versichert: „Vattenfall stellt mit dem Schiedsverfahren nicht den Beschluss zum Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland infrage. Aber wir bestehen auf eine Entschädigung für den dadurch entstandenen Schaden. Es gibt keinen anderen Weg, als Deutschland zu verklagen.“

Allgemeine Rechtsgrundsätze müssen eingehalten werden

Warum verklagt ein Unternehmen wie Vattenfall einen Staat für die Folgen eines demokratisch gefassten Beschlusses? Eine oft gestellte Frage, Anne Gynnerstedt erläutert Vattenfalls Sicht: „Im Energiesektor gibt es die Energiecharta, ein international anerkanntes Recht, das Deutschland und Schweden gemeinsam mit über 50 weiteren Staaten und der EU unterzeichnet haben. Das Abkommen soll sicherstellen, dass die Länder allgemeine Rechtsgrundsätze beachten. Die im Vertrag festgehaltenen Streitbeilegungsverfahren geben den Unternehmen die Sicherheit, große Investitionen tätigen zu können, ohne politische Risiken eingehen zu müssen. Demokratisch gefasste Beschlüsse werden damit nicht unterbunden. Selbstverständlich kann Deutschland entscheiden, seine Energiepolitik anders auszurichten.

Es darf jedoch nicht dazu kommen, dass ausländische Investoren den Preis für einen solchen Beschluss zahlen müssen und Geld verlieren. „Das allein steht im Widerspruch zu demokratischen Prinzipien“, so Gynnerstedt. „Wenn es nicht die Möglichkeit gäbe, Entschädigungen zu erhalten, würde kaum ein Unternehmen riskieren, große, langfristige und grenzüberschreitende Investitionen zu tätigen. Das wäre kontraproduktiv.“ Aktuell laufen 59 Prozesse zwischen Unternehmen und Staaten auf Basis der Energiecharta. Weitere Informationen finden Sie unter http://www.encharter.org/.

Anne Gynnerstedt rechnet damit, dass das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten in Washington erst in einigen Jahren eine Entscheidung treffen wird. Warum sich Vattenfall nicht zur geforderten Entschädigungssumme äußert, erklärt sie wie folgt: „Gemäß den Verfahrensregeln des Schiedsverfahrens handelt es sich hierbei um vertrauliche Informationen. Deshalb können wir uns dazu nicht äußern.“

Klage erregt großes Aufsehen

Die Entscheidung von Vattenfall für das Schiedsverfahren hat großes Aufsehen erregt. Aktuell kursieren in den sozialen Medien Protestlisten, um Vattenfall dazu zu bewegen, die Klage zurückzuziehen. Es wird die Frage aufgeworfen, ob es ethisch vertretbar sei, wenn ein gewinnorientiertes Unternehmen wie Vattenfall von einem Staat eine Entschädigung einfordert. „Im Energiebereich geht es immer um große Investitionen und um langfristige Planbarkeit. Aus diesem Grund gibt es das Abkommen gerade für den Energiesektor. Wenn ein ausländisches Unternehmen in einem derart ressourcenintensiven Wirtschaftszweig wie zum Beispiel der Kernenergie unter der Voraussetzung, dass diese Energieform ein fester Bestandteil des Systems ist, große Investitionen getätigt hat, dann dürfen die Konsequenzen eines politischen Umbaus nicht dem Unternehmen aufgebürdet werden.

Es ist der jeweilige Staat, der den Beschluss fasst und somit die Konsequenzen tragen muss. Dieser Auffassung war auch der deutsche Staat zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens“, so Anne Gynnerstedt. „Wenn wir einen großen Verlust erleiden und einen Anspruch auf Entschädigung haben, wäre es doch unternehmerisch unverantwortlich von uns, nicht zu versuchen, diese zu erhalten. Das gilt unabhängig von der Frage, welche Meinung man bezüglich der Kernenergie im Allgemeinen vertritt.“

Klage ist keine Folge des TTIP

In der Diskussion kam auch die Behauptung auf, dass die Klage von Vattenfall eine direkte Folge des geplanten Freihandelsabkommens TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen der EU und den USA sei. „Das stimmt nicht“, stellt Anne Gynnerstedt klar. „Unsere Klage fällt unter die Energiecharta und wir haben darauf schon früher hingewiesen“, so Anne Gynnerstedt.

Es wurde ebenfalls behauptet, dass Vattenfall gegen erneuerbare Energie sei und Deutschland aus diesem Grund verklage. „Diese Behauptung ist nicht logisch. Die erneuerbaren Energien sind das zukünftige Kerngeschäft von Vattenfall, auch in Deutschland“, betont Gynnerstedt. „Vattenfall wird in den kommenden vier Jahren rund elf Milliarden Schwedische Kronen (umgerechnet über eine Milliarde Euro) in Windkraft investieren. Unser Offshore-Windpark DanTysk in der Nordsee ist vor Kurzen ans Netz gegangen, und im nächsten Jahr starten wir den Bau des Windparks Sandbank, der ebenfalls in der Nordsee liegt.“

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