Sonnenkollektoren

Dezentrale Energielösungen wachsen überproportional

Sie sind längst ein Motor der Energiewende. Sie sind effizient und wettbewerbsfähig und bieten kundenspezifische individuelle Konzepte – die dezentralen Energielösungen. Doch wie geht deren Entwicklung weiter? Im Interview gibt Vattenfall Energy Solutions-Chef Hanno Balzer seine Einschätzung des Marktes.

Gas und Fernwärme dominieren den Wärmemarkt in größeren Städten – wie passen die „Dezentralen“ da rein?

Die dezentralen Lösungen haben in den letzten Jahren ihre anhaltend große Bedeutung für das Gelingen der Energiewende und einer Wärmewende unter Beweis gestellt. Dezentral ist immer eine Option, wenn ein Gebäude oder ein Quartier besonders umweltfreundlich versorgt werden soll und eine technisch anspruchsvolle Lösung sicher und kostengünstig umgesetzt werden muss. Und, die dezentrale Versorgung kann auch die Fernwärme hervorragend unterstützen, etwa wenn Anforderungen des Gebäudeeigentümers nach einem niedrigen Primärenergiefaktor oder der Wunsch nach ‚Mieterstrom‘ dies erfordern.

Hanno Balzer, Geschäftsführer der Vattenfall Energy Solutions GmbH, Foto: Markus AltmannHanno Balzer, Geschäftsführer der Vattenfall Energy Solutions GmbH, Foto: Markus Altmann

Überall wird gebaut, die Bevölkerungszahl vor allem in den Metropolen wächst, wachsen auch die dezentralen Energielösungen? Wenn ja, in welchem Umfang?

Natürlich! Wir haben in den vergangenen Jahren allein in Berlin unser Portfolio auf über 150 MW erweitern können und wollen weiter wachsen. Da sich die Entwicklung der Hauptstadt immer mehr an die Ränder der Stadt und in das Umland bewegt, wachsen die dezentralen Lösungen im Moment überproportional. Das sieht beispielsweise für Hamburg ähnlich aus.

Wagen Sie einen Zehnjahres-Ausblick? Sie haben gerade die 350. dezentrale Anlage bei Energy Solutions in Betrieb genommen, wie viele werden es 2030 sein?

In zehn Jahren wollen wir im gesamten deutschen Markt mit dezentralen Lösungen präsent sein. Wir rechnen dabei mit einem Investitionsvolumen von ungefähr 200 Millionen Euro.

Inbetriebnahme 350. dezentrale Anlage von VattenfallInbetriebnahme der 350. dezentrale Anlage von Vattenfall, v.l.: Hanno Balzer, Angelika Schöttler, Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg und Henrik Denkewitz, Prokurist beim Bauträger Kondor Wessels Wohnen Berlin

Wie wird sich der Markt also weiter entwickeln?

Das wird sehr stark von der Veränderung des regulatorischen Umfeldes und von Förderung abhängen. Das betrifft beispielsweise die Mieterstromprojekte. Hier hoffen wir auf eine Angleichung der Förderung von Mieterstrom zu selbst verbrauchtem Strom bei PV-Anlagen.

Sind BHKW und Photovoltaik-Anlagen auf längere Sicht das Maß aller Dinge?

Wir sehen derzeit im Markt für dezentrale Energieversorgung sehr interessante technische Entwicklungen. Insbesondere die Kombination verschiedener technischer Lösungen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Hier sehen wir auch Einsatzmöglichkeiten für die Wärmepumpe zum Beispiel in der Kombination mit der Nutzung von Solarthermie, oberflächennaher Geothermie oder der Nutzung von Abwasser als Wärmequelle. Auch im Bereich der dezentralen Stromversorgung gibt es interessante neue Entwicklungen. So ist insbesondere die Integration von Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität oder die dezentrale Speicherung von Strom in den Fokus von Neubau-Projekten geraten.

Bisher spielen die Erneuerbaren in Berlin beispielsweise nur in Form von Photovoltaik (PV) eine Rolle. Wie kann sich das ändern? Wo können sie in der dezentralen Energielösung ihren Platz finden?

Auf absehbare Zeit wird sich eine Stadt wie Berlin nicht dezentral - aus der Stadt für die Stadt - aus erneuerbaren Energien versorgen können. Vielmehr spielt das Umland bei der Versorgung mit erneuerbaren Energien eine wichtige Rolle, hierbei insbesondere die Windkraft. Sie benötigt allerdings aufgrund ihrer schwankenden Einspeisung eine Speichermöglichkeit. Die Speicherung kann ideal in dezentralen Energieversorgungsanlagen stattfinden, entweder in Form von Strom beispielsweise im Rahmen der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität oder in Form von Wärme in dezentralen Power-to-Heat-Anlagen.

Mal abgesehen von Kundenwünschen und individuellen Angeboten, was ist aus Ihrer Sicht derzeit die beste, effiziente, nachhaltige Energieversorgung für ein neues dezentrales Stadtquartier?

Diese Frage ist pauschal schwer zu beantworten, denn jedes neue Stadtquartier ist anders. Angenommen es handelt sich um eines der großen Berliner Neubauareale im äußeren Bereich, wie es beispielsweise für die ‚Elisabeth-Aue‘ in Pankow gerade diskutiert wird: Dann ist ein Nahwärmenetz die beste Grundlage für eine effiziente und kostengünstige Wärmeversorgung. Als Technologien für eine Wärmeversorgung würden wir hier eine Kombination aus einem Blockheizkraftwerk und einem Gaskessel empfehlen. Dies hat neben der kostengünstigen Wärme den Vorteil, dass das Quartier auch dezentral mit Strom versorgt werden kann. Für besonders hohe ökologische Ansprüche ließe sich das BHKW mit Biomethan betreiben und auch um einen holzbefeuerten Kessel ergänzen. Bei einem hohen Strombedarf im Quartier beispielsweise durch einen hohen Anteil an Elektromobilität könnten noch PV-Module zur Mieterstromversorgung zum Einsatz kommen. Wichtig ist, alle Planungen für Wärme, Strom, Mobilität von Anfang an gut aufeinander abzustimmen und in einem integrierten Konzept umzusetzen. So spart man Kosten, Zeit und Aufwand bei Errichtung und Betrieb der Anlagen.  

350. dezentrale Anlage - Blockheizkraftwerk350. dezentrale Anlage von Vattenfall in Deutschland - Blockheizkraftwerk in Berlin Tempelhof

Angesichts der hochsommerlichen Temperaturen im Jahrhundert-Sommer 2018: Muss Kühlung in einem dezentralen Energiekonzept künftig mitgedacht werden?

Vermutlich ja. Wir sehen schon jetzt im hochpreisigen Wohnungsneubau, dass die Gebäudekühlung eine immer stärkere Rolle spielt und erwarten, dass zumindest im Neubau Maßnahmen zur Gebäudekühlung auf absehbare Zeit zum Standard gehören werden. Natürlich machen wir uns deshalb Gedanken, wie die Kühlung möglichst umweltschonend und kostengünstig realisiert werden kann.

Schauen wir auf die Preise. Wie konkurrenzfähig sind die „Dezentralen“?

Im Neubau sind dezentrale Energieversorgungslösungen sehr wettbewerbsfähig und müssen das auch sein. Angesichts immer stärker steigender Kaltmieten versuchen Projektentwickler und Vermieter die Kosten der sogenannten zweiten Miete deutlich nach unten zu entwickeln und zumindest für die Heizkosten gelingt dies auch. Werden im Altbau häufig mehr als ein Euro pro Quadratmeter und Monat an Heizkosten gezahlt, können wir mit einer dezentralen Wärmeversorgung diesen Wert regelmäßig auf 80 Cent oder sogar noch weiter darunter anbieten. Im Strombereich sieht es etwas anders aus: Hier hat der geeignete Bestandsbau mit einer großen unbebauten Dachfläche die Nase vorn und wir können im Gebäude aus der PV-Anlage Mieterstrom generieren, der um mehr als zehn Prozent unter den Preisen der großen Stromvertriebe liegt.

Vattenfall will innerhalb einer Generation ganz auf fossile Brennstoffe verzichten. Reichen die heute eingesetzten Technologien der „Dezentralen“, um dies mit umzusetzen?

Für die dezentrale Energieversorgung stellt die neue Vattenfall-Strategie eine besondere Herausforderung dar. Zwar basiert ein Großteil der Projekte auf umweltfreundlichen Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen. Allerdings werden diese überwiegend noch mit fossilem Erdgas betrieben. Bei neuen Projekten stellen wir vermehrt auf biogene Brennstoffe wie Holz oder Biomethan um. Aber wir denken hier deutlich weiter und versuchen auch die Brennstoff-Herstellung nachhaltig aufzubauen. Bestes Beispiel sind unsere Kurzumtriebsplantagen, wo wir unseren eigenen Holzbrennstoff mit einem zertifizierten Primärenergiefaktor von 0,07 herstellen. Derzeit haben wir auch ein Projekt zur Umwandlung dieses Holzes zu Biomethan. Gerade in kleineren Anlagen mit einem geringen Platzangebot lässt sich das Gas Biomethan besser einsetzen als ein Festbrennstoff wie Holz oder Holzpellets, der vor Ort gelagert werden muss. 

Und, wir beobachten die Power-to-Gas-Entwicklungen mit großem Interesse. Einfach, weil wir glauben, dass Gas dauerhaft zur Wärmeerzeugung in den urbanen Zentren gebraucht wird. Die Kosten und Wirkungsgrade dieser Technologie lassen zwar derzeit noch keinen kostengünstigen Einsatz in unseren Anlagen zu. Trotzdem vernachlässigen wir den Strom als ‚Brennstoff‘ nicht und setzen zunehmend auch strombetriebene Wärmepumpen in unseren Versorgungslösungen ein. Aufgrund des schlechten Wirkungsgrades von reinen Luft-Wasser-Wärmepumpen allerdings nur in Verbindung mit weiteren erneuerbaren Energien. Insgesamt sind wir überzeugt, dass es uns ‚Dezentralen‘ gelingen wird, innerhalb einer Generation auf eine vollständig CO2-neutrale Versorgung umzustellen.

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