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Keiner will im Kalten sitzen.

Über seinen CO2-Fußabdruck kann sich Magnus Hall, CEO und Präsident von Vattenfall, nicht beklagen. In sechs Jahren an der Spitze des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall hat er so viele Kohlekraftwerke abgeschaltet wie kein anderer vor ihm. Dass Klimaaktivisten immer noch mehr verlangen, kann er verstehen – einerseits.

Magnus Hall

Magnus Hall, Präsident und CEO von Vattenfall

Magnus Hall spricht im Interview mit Michael Bauchmüller von der Süddeutschen Zeitung über die Energiewende, seine Liebe zur Atomkraft und über seine bekannte Landsfrau Greta Thunberg. Dieses Abschiedsinterview als Vattenfall Chef, denn Ende Oktober tritt Anna Borg seine Nachfolge an, ist zuerst erschienen in der Süddeutschen Zeitung:

SZ: Herr Hall, Kennen Sie den Unterschied zwischen einem großen schwedischen und einem deutschen Möbelhaus?

Magnus Hall: Ich bin nicht so oft in deutschen Möbelhäusern, sagen Sie es mir.

Bei Ikea werden die Kunden geduzt. Für viele Deutsche war das anfangs sehr gewöhnungsbedürftig.

Für uns ist das überhaupt nicht ungewöhnlich, wir sind da recht offen.

Dürfte ich also Magnus zu Ihnen sagen?

Unbedingt. Ich sage auch zu unserem Ministerpräsidenten „Stefan“ und nicht „Herr Löfven“. Ich kenne ihn zwar ein bisschen, aber das wäre nicht anders, wenn ich ihn weniger gut kennen würde.

Muss eine ganz schöne Umstellung sein, wenn Sie von der schwedischen Zentrale zu Vattenfall in Deutschland kommen.

Der Schritt in ein anderes Land ist immer ein Schritt in eine andere Kultur. Aber das ist es auch, wenn ich zu unseren Leuten in den Niederlanden fahre. Die Deutschen sind etwas sorgfältiger, die Schweden etwas zupackender, die Niederländer etwas direkter. Aber wir lernen voneinander.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel, wie wir unsere Arbeitswelt gestalten. In Schweden arbeiten wir mittlerweile auch in offenen Büro-Landschaften, wie es sie in den Niederlanden schon lange gibt. In Deutschland sind eigene Büros noch üblicher, und noch nicht jeder kann sich eine andere Büroumgebung vorstellen – was ich verstehen kann: So war es in Schweden früher auch. Jetzt beginnen wir, das auch in Deutschland zu öffnen. Es gibt keine festen Arbeitsplätze mehr, aber viele Räume für Meetings. Alles wird dadurch flexibler. Wir haben in Schweden gelernt, wie viel das bringt.

Ein anderer großer Import aus Schweden ist Greta Thunberg. Haben sie und die „Fridays for future“ auf die schwedische Klimadebatte ähnlich viel Einfluss wie auf die deutsche?

Definitiv findet sie viel Gehör in Schweden. Aber sie ist eigentlich inzwischen eine globale Figur, keine schwedische. Man hört ihr auf der ganzen Welt zu. Wenn du nach Deutschland kommst und ein Treffen mit Angela Merkel bekommst, dann repräsentierst du wahrscheinlich eher die Welt als Schweden.

Repräsentiert sie auch Sie?

Sie rückt die Wissenschaft in den Fokus, und das ist richtig. Manchmal geht es mir dabei aber zu wenig um Lösungen. Es reicht nicht, immer nur „schneller, schneller“ zu rufen. Der Wandel wird sich beschleunigen, davon bin ich überzeugt. Aber wie sehr uns der Klimawandel herausfordert, dass wir fossile Energie hinter uns lassen müssen, das haben wir als Unternehmen schon vor Greta Thunberg gesehen.

Als Sie kürzlich beim PlanW-Kongress der SZ auftraten, hat eine Vertreterin von „Fridays for future“ den Kopf geschüttelt.

Ich hatte den Eindruck, sie hielt mich nicht für glaubwürdig. Wir sind ein Unternehmen, keine Umweltgruppe. Wenn ich sage: Wir bauen es so schnell wie möglich um, höre ich oft, es muss schneller gehen.

Und was sagen Sie dann?

Dass wir den Löwenanteil unserer Investitionen in den Wandel stecken – und dass wir eben weiterhin unsere Kunden mit Wärme und Strom versorgen müssen. Wenn wir das nicht mehr täten, würde das der Diskussion bestimmt nicht helfen. Keiner will im Kalten sitzen, um damit CO2 zu sparen. Und wir müssen Geld verdienen, um es in den Ausstieg aus der fossilen Energie zu investieren. Und dazu bekennen wir uns, jeder Einzelne unserer 20 000 Leute.

Können Sie nachvollziehen, dass junge Menschen Managern da nicht vertrauen?

Natürlich! Sie wollen, dass sich etwas ändert. Aber als junger Mensch sieht man vielleicht noch nicht alle Realitäten, die uns umgeben. Wenn man die sieht, wird das Urteil vielleicht etwas ausgewogener.

Welche Realitäten meinen Sie?

Ein Beispiel: Vattenfall hat sich nach den Zielen des Pariser Klimaabkommens ausgerichtet. Wir wollen unseren Beitrag leisten, die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu stabilisieren. Eigentlich sind wir da auf einem guten Weg, deshalb verabschieden wir uns ja von der Kohle. Das Problem ist: Wir ersetzen die Kohle oft durch Gas. Das funktioniert vielleicht bis 2030 – aber danach brauchen wir eine Lösung.

Wie könnte die aussehen?

Es geht immer nur über Kombinationen aus verschiedenen Ansätzen. Bei der Wärme muss das eine sein aus erneuerbaren Energien, Müllverbrennung, Nutzung überschüssiger Wärme, also Abwärme. Beim Strom braucht es neben CO2-freien Technologien auch viele Speicher, die fluktuierenden Wind- und Sonnenstrom ausgleichen, und insgesamt einen Verbrauch, der sich flexibler nach der Verfügbarkeit richtet. Auch lässt sich aus Strom Gas herstellen, etwa Wasserstoff. Aber es ist noch zu früh, sich auf eine bestimmte Technologie festzulegen.

Immerhin stellen Sie nun Wasserstoff bereit für ein schwedisches Stahlwerk.

Ja, aber auch das ist erst einmal ein Pilotprojekt, mit dem wir viel lernen können. Interessant wird es, wenn wir es in größere Dimensionen bringen, wenn die grüne Technologie wettbewerbsfähig wird.

Das wird nicht leicht, beim Stahl herrscht ein beinharter Wettbewerb.

Ja, und das heißt: Da muss ein ausreichend hoher Preis auf Kohlendioxid dem klimafreundlichen Wasserstoff helfen. Zum anderen sind da die Kunden: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Käufer eines Elektroautos sich künftig nicht nur mit grünem Strom versorgen wollen. Die fragen auch: Und was ist mit dem Stahl? Wie sauber ist der? Der Druck wird kommen.

Was ist mit Atomkraftwerken, wie Vattenfall sie in Schweden betreibt? Gehören die auch zu Ihrer postfossilen Welt im Jahr 2050?

Ich denke ja, aber das hat verschiedene Facetten. Das Problem ist, dass neue Atomkraftwerke derzeit schlicht zu teuer sind. Die Industrie muss rationeller werden, sie muss mehr modulare Reaktoren anbieten, die sich günstig in Serie bauen lassen. Aber solange jede Nation eine eigene Vorstellung von Kernkraftwerken hat, wird das nichts. Das wäre, als wollte jeder seinen eigenen A 380 bauen. Die Kosten müssen runter, und wir brauchen einen einheitlichen Sicherheitsstandard. Dann sehe ich für die Kernkraft durchaus eine Zukunft.

Atomkraftgegner in Deutschland lässt diese Vorstellung gruseln.

Ich gebe zu, ich bin für Atomkraft. Aber es ist klar, dass das von Land zu Land anders gesehen wird. Sonst wäre Deutschland ja nicht ausgestiegen.

Halten Sie das für einen Fehler?

Ich will es so sagen: Aus heutiger Sicht würde man vermutlich erst möglichst viel Kohlendioxid vom Netz nehmen, und dann die Atomkraft. Aber solche Dinge passieren. Entscheidend ist nun, wie man die deutsche Versorgung sicherstellt, wenn sowohl Kohle als auch Kernkraft fehlen.

Nämlich wie?

Da werden die Netze entscheidend sein, die Verbindungen zwischen und innerhalb von Staaten. Da kann mehr Strom von Schweden oder Norwegen runter nach Deutschland fließen. All diese Pläne gibt es ja schon. Herausfordernd, aber es geht.

Mit Deutschland liegen sie wegen des Ausstiegs seit vielen Jahren im Clinch: Vor einem Schiedsgericht in Washington verlangen sie Entschädigung. Wann wird das entschieden?

Das erwarten wir eigentlich schon seit Jahren. Ich sage immer: Vielleicht in einem halben Jahr. Nach einem halben Jahr sage ich aber meistens dasselbe. Im Kern geht es uns ja nur darum, dass man ein Kraftwerk nicht einfach ohne Entschädigung aus politischen Gründen stilllegen kann. Das hat Schweden übrigens im Fall von Eon auch nicht gemacht, als das Kraftwerk Barsebäck 2 vorzeitig stillgelegt wurde.

Ihre Braunkohle in der Lausitz haben Sie dagegen zum Spottpreis an einen tschechischen Investor verkauft. Da hätten sich viele Klimaschützer gefreut, wenn sie die stillgelegt hätten – auch in Schweden.

Die Braunkohle hat nicht mehr zu uns gepasst. Aber man geht nicht in ein anderes Land und legt dort zehn Prozent der Stromversorgung still. Das macht man einfach nicht. Das habe ich auch Politikern in Schweden gesagt. Wenn ein deutsches Unternehmen bei uns die Hälfte der Kernkraftwerke kauft und dann sagt: Wir mögen Atomenergie nicht mehr, die machen wir zu – das hätte uns auch nicht gefallen.

Dafür bieten Sie jetzt die Stilllegung des Hamburger Kraftwerks Moorburg an, nachdem Vattenfall viel Zeit und Geld dafür investiert hat. Deutschland scheint ein teures Abenteuer für Sie.

Moment, die Braunkohle war für uns unter dem Strich kein Verlustgeschäft. Für Kapazitäten von Moorburg haben wir die Auktion Anfang September genutzt, mit der in Deutschland Stilllegungsprämien vergeben werden. Das war eine sehr schwere Entscheidung, weil es so ein junges, effizientes Kraftwerk ist. Aber wir mussten einsehen, dass wir nicht mehr verdienen können als in dieser Auktion, auch wenn das für die Beschäftigten sehr, sehr hart ist.

Aber was bleibt dann von Vattenfall in Deutschland?

Genug. Wir sind stark in Berlin und Hamburg, und wir haben noch eine Menge vor. Was wir wirklich bedauern, ist der Verlust des Wärmegeschäfts in Hamburg – das war eine Entscheidung der Stadt. Deutschland bleibt ein Schlüsselmarkt für Vattenfall, mit vier Millionen Strom- und Gaskunden, 1,5 Millionen Wärmekunden. Wir wollen für Offshore-Windparks bieten und werben um große Industriekunden. Die Zeiten haben sich geändert, aber wir sehen jede Menge Möglichkeiten. Und das gerade auch durch den Umbau der Energieversorgung. Da können wir eine Menge beitragen.

Eigentlich spannende Zeiten – trotzdem verlassen Sie das Unternehmen jetzt. Warum?

Das war eine persönliche Entscheidung. Wenn ich mich entscheiden würde, weiter für Vattenfall zu arbeiten, dann wäre das ein Entscheidung für die nächsten fünf, sechs Jahre. Meine Frau arbeitet seit ein paar Jahren nicht mehr, ich selbst bin über 60. Da habe ich für mich entschieden, es ist genug. Ich will auch gar keinen anderen Job. Aber es war eine fantastische Zeit.

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