Die Hauptstadt hat ihre CO2-Emissionen früher als erwartet halbiert und marschiert im Klimaschutz jetzt vorneweg. Hinter dem Erfolg stehen Milliarden-Investments des Unternehmens und ein partieller Kohleausstieg.
Der Wirtschaftsjournalist Daniel Wetzel interviewte dazu Gunther Müller, Vorstandschef der Vattenfall Wärme Berlin, für WELT ONLINE.
Funktioniert Berlin wieder? Arbeitskollegen berichten, dass es Termine für neue Reisepässe jetzt schon am Folgetag gibt. Ein anderer ist sogar bei der Kfz-Zulassung fast ohne Wartezeit drangekommen. In der jahrelang gescholtenen Verwaltung der Bundeshauptstadt scheint sich was zum Besseren zu wenden.
Es mag viele Stellen geben, wo es noch hakt – vom Flughafenbau mal ganz zu schweigen. Doch in einem Bereich kann Berlin jetzt ganz sicher Imagepunkte sammeln: im Klimaschutz. Der Himmel über Berlin ist wieder sauber – relativ sauber zumindest.
Denn nach WELT-Informationen hat der Hauptstadtversorger Vattenfall seine im Jahre 2009 geschlossene Klimaschutzvereinbarung mit dem Berliner Senat unter dem damals Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) deutlich früher erfüllt als erwartet. Das Ziel, die CO2 -Emissionen der Hauptstadt bis 2020 zu halbieren, erreichte der Kraftwerksbetreiber bereits Ende 2017, also drei Jahre vor Ablauf der Frist.
„Berlin hat Braunkohle-Ausstieg absolviert“
Nach den von der Deutschen Emissionshandelsstelle (Dehst) beglaubigten Zahlen stießen die 24 Berliner Heizkraftwerke im Jahre 1990 noch 13,3 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus, ein Gas, das für den Treibhauseffekt verantwortlich gemacht wird. Ende vergangenen Jahres waren es nur noch 18 Kraftwerke mit einem Ausstoß von 6,3 Millionen Tonnen CO2.
Damit hat Vattenfall seine Klimaschutzvereinbarung mit einem Minus von 52,7 Prozent sogar vorzeitig übererfüllt. Auch wenn ein Vergleich mit anderen Städten aus strukturellen und statistischen Gründen schwierig ist: Den Titel Klimahauptstadt könnte Berlin jetzt mit einigem Recht für sich beanspruchen.
„Wir haben mehr als eine Milliarde Euro in die Erneuerung unserer Anlagen gesteckt“, erklärt Gunther Müller, Chef des Kraftwerksbetreibers Vattenfall Wärme Berlin AG im Gespräch mit WELT, was hinter dem CO2 -Sparerfolg steckt.
Einer der wichtigsten Meilensteine war dabei die Umrüstung des großen Heizkraftwerks Klingenberg auf Erdgas im vergangenen Jahr, sagt Müller: Damit hat Berlin seinen Braunkohleausstieg bereits absolviert.
Heizkraftwerk Klingenberg: Berlins Bürgermeister zu Besuch
Holz als klimaneutraler Brennstoff
In anderen Berliner Kraftwerken, etwa in Moabit und dem Märkischen Viertel, setzt Vattenfall auf Biomasse als Brennstoff. In Moabit verdrängen die Holzhackschnitzel durch Mitverbrennung bis zu 40 Prozent der Steinkohle. Im neuen Biomasse-Heizkraftwerk im Märkischen Viertel kommen sie sogar zu 100 Prozent zum Einsatz.
Um diesen Brennstoff zu gewinnen, pflanzte Vattenfall in einem Umkreis von 150 Kilometern um Berlin Energiewaldplantagen mit schnell wachsenden Hölzern an. Die Anpflanzungen auf über 2000 Hektar machten Vattenfall nebenbei zum größten Energiewaldbesitzer Deutschlands.
In einer Nachhaltigkeitsvereinbarung mit dem Land hatte Vattenfall 2011 zugesagt lange Transportwege der Hackschnitzel zu vermeiden und dafür zu sorgen, dass die Energiewaldplantagen nicht zulasten der Nahrungsmittelproduktion gehen. Weil das Holz beim Wachsen genauso viel CO2 absorbiert, wie es beim Verbrennen später abgibt, gilt Holz als klimaneutraler Brennstoff.
Konflikte frühzeitig erkennen
„Kunden, die diese grüne Technik unterstützen möchten, können bei uns ‚Greenheat‘ bestellen“, wirbt Müller für das Ökoheizprodukt: „Wir haben noch Kapazitäten frei.“ Unter anderem Hotelketten und andere ökologisch orientierte Unternehmen beziehen bereits für einen gewissen Preisaufschlag die klimafreundliche Fernwärme aus den umgerüsteten Heizkraftwerken.
Auf diesem Pfad will Vattenfall in den nächsten Jahren weitergehen: „Das 2020er-Ziel war nur die Phase eins“, sagt Müller: „Bis 2030 wollen wir auch völlig raus aus der Steinkohle.“
Für dieses Projekt hat der Versorger bereits eine Begleitgruppe ins Leben gerufen, an der sich auch Mieterverein, Umweltgruppen und Industrie- und Handelskammer beteiligen. So sollen mögliche Konflikte bei der Umgestaltung der Berliner Energieversorgung frühzeitig erkannt und vermieden werden. Zu den ersten, bereits fest geplanten Projekten gehört es, im Herbst 2019 Deutschlands größte „Power to Heat"-Anlage mit einer Leistung von 120 Megawatt in Betrieb zu nehmen.
Elektrodenkessel der Power-to-Heat-Anlage in Reuter West angeliefert
Neue Energiequellen sollen angezapft werden
Die im Bau befindliche Anlage am Kraftwerk Reuter West soll nach dem Tauchsiederprinzip mit dem Ökostrom aus Brandenburger Windparks heißes Wasser erzeugen, das zur Fernwärme-Versorgung unmittelbar durch die Leitungen geschickt wird. Zudem soll ein bis 2022 geplanter Wärmespeicher auch überschüssigen Windstrom in Form von Warmwasser zwischenlagern. Damit wird auch die kostenträchtige Abregelung von Windparks bei Netzüberlastung reduziert.
Weitere CO2 -Sparideen könnten ebenfalls Ergebnis der Machbarkeitsstudie sein, die im kommenden Jahr abgeschlossen sein soll: Dazu gehört etwa die verstärkte Nutzung von Solarthermie oder die Nutzung von Geothermie. Auch könnte man dem Berliner Abwasser seine Restwärme entziehen, die bislang noch ungenutzt bleibt. Ebenso könnte die Abwärme von großen Rechenzentren so genutzt werden.
Viele einzelne Energiequellen, die bislang noch unterhalb des Radars unentdeckt geblieben sind, sollen so angezapft werden. Erste Einsätze gibt es schon. So fängt etwa die Königliche Porzellan-Manufaktur in Berlin die Abwärme ihrer Brennöfen bereits auf – und stellt dem Fernwärmenetz damit allein immerhin bereits eine Leistung von einem Megawatt zur Verfügung.
Königliche Porzellan-Manufaktur KPM jetzt auch “Wärme-Manufaktur“
Mit der Nutzung vieler kleiner Energiequellen hat Berlin gewissermaßen schon aus historischen Gründen Erfahrung. Wegen der Insellage West-Berlins im Kalten Krieg wurden vergleichsweise viele und relativ kleine Heizkraftwerke errichtet. Dies hat neben den Platzgründen auch den Hintergrund, dass der kleinteilige, dezentrale Kraftwerkspark im Krisenfall ein höheres Maß an Versorgungssicherheit versprach. Beim Aufbau einer mosaikartig kleinteiligen, klimafreundlichen Versorgungsstruktur kommt der Hauptstadt diese Grundstruktur jetzt zugute.
Der Artikel erschien zuerst am 25. September 2018 auf WELT ONLINE:
Daniel Wetzel: „In einem Punkt ist die Hauptstadt Vorreiter“
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