Überschüssige Energie aus der Kernfusion – „Der entscheidende Durchbruch“

Fusionsenergie ist seit Langem ein Versprechen der Energiewissenschaft, das jedoch bisher in der Ferne lag. Nach zwei erfolgreich verlaufenen Experimenten im Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien gibt es nun erstmals gute Gründe für die Annahme, dass Fusionsenergie in großem Maßstab Realität werden könnte.

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Am 5. Dezember letzten Jahres ereignete sich etwas Historisches: Ein Team von Forschern des Lawrence Livermore National Laboratory führte erfolgreich einen Prozess durch, an dem andere jahrzehntelang gescheitert waren. Zum ersten Mal gelang eine Fusion von Atomkernen, bei der mehr Energie erzeugt wurde, als für den Prozess selbst nötig war.

Das Team in Lawrence Livermore konnte das Dezember-Experiment in einem zweiten Durchlauf am 30. Juli dieses Jahres erfolgreich wiederholen.

Constantin Häfner, Leiter der Expertenkommission und des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT in Aachen, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fusionstechnologie und bezeichnet den Erfolg der Experimente in Lawrence Livermore als „bahnbrechend“.

„Das Team hat zum ersten Mal den wissenschaftlichen Nachweis für Fusionsenergie erbracht. Dies ist bisher noch nie in einem Labor gelungen. Es zeigt, dass die von den Physikern entwickelten Modelle und Annahmen sämtlich zutreffend sind. Das ist der entscheidende Durchbruch.“

Das Ziel ist überschüssige Energie

Anders als bei der Kernspaltung, bei der schwere Atomkerne aus Uran oder Plutonium zerlegt werden – die Grundlage für die heutige Kernenergie –, hatte sich die Wissenschaft bisher vergeblich bemüht, einen funktionierenden Fusionsprozess zu entwickeln.

Die Hürde, die nun in Lawrence Livermore genommen wurde: die Erzeugung von überschüssiger Energie. Die Technologie und den Prozess der Fusion gibt es schon seit Langem. Durch die Verschmelzung (Fusion) leichter Atomkerne, zum Beispiel von Wasserstoff, werden enorme Energiemengen freigesetzt.

Klingt simpel, oder? Ist es aber nicht. Vereinfacht gesagt, beruht die Fusion auf demselben Prozess, der auch in der Sonne – und anderen ähnlichen Sternen – abläuft und extreme Hitze und hohen Druck erfordert. Um eine solche Umgebung nachzubilden, wurden unter anderem leistungsstarke Laser eingesetzt, die große Mengen an Energie benötigen, und zwar bisher mehr, als durch die Fusion freigesetzt wurde. Bei den Experimenten in Lawrence Livermore gelang es den Forschern schließlich, überschüssige Energie zu erzeugen: Bei der Fusion wurden 3,15 Megajoule freigesetzt, der Laser benötigte jedoch nur 2,0 Megajoule. 

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Leichtere Atomkerne, günstiger erhältlich

Einer der Vorteile der Kernfusion gegenüber der Kernspaltung: Die Atome, die eingesetzt werden, sind leichter und besser verfügbar – es ist eindeutig einfacher, mit Wasserstoff als mit Uran zu arbeiten. Der Prozess der Verschmelzung von Atomkernen erfordert zwar Bedingungen, die nur schwer herzustellen sind, könnte aber in Bezug auf die Sicherheitskosten potenziell günstiger sein als die Kernspaltung.

„Die Fusion birgt weniger Risiken. Das bedeutet, dass die damit verbundenen Kosten niedriger sind“, so Häfner.

„Auch wird es vermutlich einer weniger starken staatlichen Regulierung bedürfen. Einige Länder, zum Beispiel die USA, haben ihre Rechtsvorschriften bereits geändert, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass das Risikoniveau des Fusionsprozesses nicht mit der Kernspaltung vergleichbar ist und die Fusion daher anders behandelt werden sollte. Ich denke, dass es dadurch leichter werden dürfte, die Industrie davon zu überzeugen, in Fusionstechnologie und -kraftwerke zu investieren. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Das ist eher eine Vision für die Zukunft und kein etablierter Wissensstand. Es hängt alles davon ab, wie der Regulierungs- und Genehmigungsrahmen gestaltet wird.“ 

Erzeugung in größerem Maßstab binnen 25 Jahren

Wenn alles – Finanzierung, Gesetze und Verordnungen, Technologie, Konstruktion – in Einklang gebracht wird, wären erhebliche Sprünge möglich. Die Fusionsenergie hat das Potenzial, das gesamte Energiesystem zügig auf fossilfreie Füße zu stellen. Häfner denkt ferner, dass es durchaus möglich sein könnte, die Produktion hochzuskalieren und echte Fusionskraftwerke zu schaffen. Das setzt jedoch einiges an Aufwand voraus.  

„Es gibt drei entscheidende Schritte zur Gewinnung von Energie und Strom aus Fusionsanlagen. Da ist erstens der wissenschaftliche Aspekt, das heißt es muss ein Plasma produziert werden, das mehr Energie erzeugt, als zu seiner Herstellung benötigt wird. Dann gibt es den technischen Aspekt: Die Verluste in anderen Teilen des Prozesses – zum Beispiel bei der Energietransformation – müssen berücksichtigen werden. Hinzu kommt der wirtschaftliche Nutzen, das heißt man muss in der Lage sein, die Energie auf dem Markt zu einem im Vergleich zu anderen Energiequellen wettbewerbsfähigen Preis zu verkaufen.“ 

Der Weg zum wissenschaftlichen Durchbruch durch den Anfang Dezember letzten Jahres und im Juli dieses Jahres erzielten Prozess war lang und von Misserfolgen geprägt, aber Häfner ist nun in Bezug auf die zeitliche Perspektive, in der die Fusion in größerem Maßstab möglich sein wird, umso zuversichtlicher. Im günstigsten Fall ist es bereits in 25 bis 30 Jahren so weit.

„Es ist eine Frage der Investitionen und der Verfügbarkeit geeigneter Fachkräfte. Ich denke, wir brauchen ein Innovationssystem für Fusionsenergie, und wenn Staaten hier aktiv werden, den notwendigen Rechtsrahmen schaffen und neue Technologien fördern, gepaart mit einer langfristigen Finanzierung, könnte es relativ schnell gehen. Wir werden vielleicht 10 bis 15 Jahre für die technologische Entwicklung brauchen und noch einmal so lange, um ein vorläufiges Fusionskraftwerk zu entwickeln und zu testen.“

Spaltung und Fusion

Die Grundlage der Kernkraft ist die Kernspaltung, bei der große Mengen an Energie freigesetzt werden: Mit Neutronen und unter kontrollierten Bedingungen werden Atomkerne zerlegt. Seit das erste Kernkraftwerk der Welt in den 1950er-Jahren in Betrieb genommen wurde, ist die Kernspaltung die vorherrschende Methode zur Energiegewinnung aus Atomkernen.

Das Gegenteil der Kernspaltung – die Kernfusion – hat sich jedoch als wesentlich komplizierter erwiesen.

Die Fusion basiert auf der Nachbildung des Prozesses, der im Kern der Sonne – und anderer Sterne – abläuft, wo Atome verschmelzen und enorme Energiemengen freisetzen.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Kernspaltung und Kernfusion besteht darin, dass für die Kernspaltung schwerere Atomkerne (wie Uran und Plutonium) benötigt werden, die Kernfusion hingegen mit leichteren Atomkernen wie Wasserstoff, die leichter zugänglich sind, möglich ist. Damit diese Kerne verschmelzen, sind jedoch ganz besondere Umstände erforderlich: sowohl extreme Temperaturen als auch ein hoher Druck - zwei Faktoren, deren Erzeugung an sich schon viel Energie erfordert. Bisher haben die Fusionsprojekte daher negative Ergebnisse gebracht, das heißt der Prozess selbst hat mehr Energie benötigt, als die Fusion anschließend an Energie produziert hat.

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